Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) gehören zu den Top-20-Armeen der Welt, sind bekannt für ihre Stärke und Kampferfahrung und werden von der eigenen Bevölkerung gefeiert. In den Augen der Israelis ist ihre Armee die beste der Welt. Seit Ausbruch des Gaza-Kriegs offenbaren sich jedoch immer mehr Probleme der legendären Institution.
Für das Einwanderungsland ist eine starke Armee zentral. Aufgrund der geografischen Lage Israels sind gut ausgebildete Truppen unabdingbar, um die Sicherheit im Land zu gewährleisten. Bis zum 7. Oktober 2023 dachte man, dass dies der 76-jährigen Institution gelingen würde.
Image bröckelt
Doch nach dem Angriff der Hamas auf Israel begann das Image der Superarmee zu bröckeln. Einsparungen an den Ausrüstungen haben den Truppen im Kampf gegen die Hamas Nachteile verschafft, schreibt der «Spiegel» in einer neuen Recherche. Die Armee sei nicht auf einen spezifischen Angriffskrieg vorbereitet gewesen. Am Morgen vor dem Angriff seien die Truppen stark unterbesetzt gewesen, obwohl israelische Soldatinnen lange vor dem Hamas-Überfall auf Israel vor verdächtigen Entwicklungen gewarnt haben.
Laut Militärexperten fehlte es den IDF lange an einem klaren, politischen Ziel. Wegen der grossen Anzahl an Reservisten sei die israelische Armee grundsätzlich bereit, hart und schnell gegen einen Feind vorzugehen, schreibt der Militärexperte Raphael S. Cohen in einer neuen Publikation der US-Denkfabrik Rand Corporation. Finanziell habe man bei den Truppen aber immer weiter gespart, was das ganze Gebilde ineffizient gemacht habe. Die Eliteeinheiten gelten zwar als besonders gut geschult, dafür soll es aber an den grundlegenden Werkzeugen mangeln.
Waffen werden zu grossen Teilen aus den USA importiert: Mehr als 250 Transportflugzeuge und mehr als 20 Schiffe transportierten Gerät und Munition ins Land. Der Militärhistoriker Shlomo Brom erklärt: «Man hat sich abhängig gemacht.»
Zäher Abnutzungskampf in den Tunnels
Laut Brom hätten sich die Kommandeure darauf einstellen können, dass sich die Hamas in zivilen Einrichtungen versteckt. «Man hätte vorher wissen müssen, wie man die Zivilbevölkerung wirksam evakuieren und dann an anderer Stelle unterbringen kann», zitiert ihn der «Spiegel». Das verwinkelte Tunnelsystem der Hamas unterhalb des Küstenstreifens habe noch weiter zum zähen Abnutzungskampf beigetragen. Die IDF hatten keine Pläne von den Tunneln und mussten sich dort gewissermassen «blind» durchkämpfen. Die Teams müssen langsam vorrücken und mit Sensoren messen, wo sich grössere Tunnel befinden. Dabei hätten sie oft nur wenig Zeit, sagt Ido Hadad, Offizier einer Pioniereinheit gegenüber dem «Spiegel». «Die Terroristen tauchen oft nur wenige Sekunden auf, um uns anzugreifen. Dann verschwinden sie wieder in ihren Tunneln.»
Weiterhin ist unklar, was mit dem Gazastreifen passiert, wenn der Krieg einmal beendet ist. Dies führt zu grosser Verunsicherung im ganzen Militärapparat – für welches Ziel kämpfen die Soldaten genau? Generalstabschef Herzl Halevi warnte diese Woche, dass man auch die bereits erzielten Geländegewinne riskiere, wenn es nicht bald einen konkreten politischen Plan für Gaza gebe. Diese Planlosigkeit wird von Kennern der IDF als äusserst gefährlich eingeschätzt.