Mehr als drei Monate nach Beginn des Krieges zwischen Israel und der Hamas ist an den ersten Geburtstag der jüngsten Geisel der islamistischen Palästinenserorganisation erinnert worden. «Wir denken jeden Tag, jede Sekunde, jede Minute an sie», sagte Jossi Schneider über seine in den Gazastreifen verschleppte Familie – darunter das Baby Kfir Bibas. Derweil dauerten die heftigen Kämpfe zwischen der israelischen Armee und der Hamas im südlichen Gazastreifen auch am Donnerstag unvermindert an.
Bei ihrem Überfall am 7. Oktober hatte die Hamas die Geschwister Kfir und Ariel Bibas sowie deren Eltern Shiri und Jarden aus dem Kibbuz Nir Oz verschleppt. Die Bilder von ihrer Entführung sind in Israel zu einem der Symbole des Hamas-Grossangriffs auf Israel geworden, bei dem die Islamisten 1140 Menschen töteten und rund 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppten. Allein im Kibbuz Nir Oz wurde jeder vierte der insgesamt 400 Bewohner entweder getötet oder entführt.
Nach israelischen Angaben sind noch immer 132 Geiseln im Gazastreifen – darunter Kfir Bibas und sein Bruder Ariel (4). Die Angehörigen hoffen, dass das Baby und seine Familie noch am Leben sind. Die Hamas hatte Ende November erklärt, das Kind sei gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder bei einem israelischen Luftangriff getötet worden. Israel bestätigte die Angaben nicht; derzeit wird bei 27 Geiseln vermutet, dass sie tot sind. In Tel Aviv liessen Hunderte Israelis am Donnerstag orangefarbene Luftballons anlässlich von Kfirs erstem Geburtstag in die Luft steigen.
Die israelische Regierung steht unter starkem Druck, eine Freilassung der Geiseln zu erreichen. «Der Sieg wird viele Monate dauern, aber wir sind entschlossen, ihn zu erreichen», bekräftigte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (74) am Donnerstag.
Seit mehr als drei Monaten herrscht Krieg
Israel werde sich «nicht mit weniger als dem vollständigen Sieg zufriedengeben», betonte der Regierungschef. Das bedeute «die Eliminierung der Terroristenführer, die Zerstörung der operativen und militärischen Fähigkeiten der Hamas, die Rückkehr unserer Geiseln nach Hause, die Demilitarisierung des Gazastreifens» mit vollständiger israelischer Sicherheitskontrolle auch für alles, was in das Palästinensergebiet gelange.
Nach einer Vermittlung Katars und Frankreichs waren am Mittwochabend Medikamente zur Versorgung der Hamas-Geiseln im Gazastreifen angekommen. Zeitgleich wurden auch humanitäre Hilfslieferungen für die palästinensische Zivilbevölkerung in das Palästinensergebiet gebracht, wie das Aussenministerium von Katar mitteilte.
Über die Medikamenten- und Hilfslieferungen war unter Vermittlung Katars und Frankreichs wochenlang verhandelt worden. Am Dienstag wurde eine Einigung zwischen Israel und der Hamas verkündet. Am Mittwoch stellte die Hamas dann neue Bedingungen für die Lieferung der Medikamente. Voraussetzung sei, dass die Lastwagen mit den Arzneimitteln «ohne israelische Inspektion» in das Palästinensergebiet gelassen würden, erklärte Musa Abu Marsuk vom Politbüro der Hamas auf X.
Der Krieg zwischen Israel und der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas dauert seit mehr als drei Monaten an. Als Reaktion auf den Überfall am 7. Oktober erklärte Israel der Hamas den Krieg und startete einen massiven Militäreinsatz im Gazastreifen. Nach Angaben des Hamas-Gesundheitsministeriums, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden dort seither mehr als 24'620 Menschen getötet.
Tote nach israelischen Luftangriffen
Auch in der Nacht zum Donnerstag seien bei nächtlichen israelischen Luftangriffen 93 Menschen getötet worden, erklärte die Hamas. Allein 16 von ihnen seien in der südlichen Stadt Rafah getötet worden, erklärte das von der Hamas kontrollierte Gesundheitsministerium. Auch in Chan Yunis sowie weiteren Orten im Zentrum des Gazastreifens habe es massiven Beschuss gegeben, hiess es weiter.
Auf Aufnahmen der Nachrichtenagentur AFP war schwarzer Rauch über Chan Yunis am Morgen nach den Luftangriffen zu sehen. In der zweitgrössten Stadt des Gazastreifens sollen sich nach israelischen Angaben führende Hamas-Vertreter und von ihnen verschleppte Geiseln aufhalten.
Bei einer «gezielten Razzia» im Süden von Chan Yunis stiessen die israelischen Streitkräfte nach eigenen Angaben auf ein Hauptquartier des «Südbataillons der Chan-Yunis-Brigade der Hamas» mit zahlreichen Waffen und Geheimdienstdokumenten. Zudem seien bei heftigen Kämpfen «Dutzende Terroristen ausgeschaltet» worden. Am Donnerstag erklärte die Armee ausserdem, dass sie in Chan Yunis zum bislang südlichsten Punkt ihres Einsatzes im Gazastreifen vorgedrungen sei. (SDA)