«Die Demonstrationen wurden unterdrückt, ich und meine Frau verhaftet»
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Interview mit Andrei Sannikov:Ex-Vize-Aussenminister über die Diktatur in Belarus

Interview mit dem ehemaligen Vize-Aussenminister Andrei Sannikov, der wegen Lukaschenko zurücktrat
«Putin und Lukaschenko hassen sich!»

Einst diente Andrei Sannikov unter dem belarussischen Herrscher Alexander Lukaschenko. Heute bekämpft er ihn. Im Interview mit Blick sagt der Diplomat, welche wichtige Rolle sein Land im Ukraine-Krieg spielt.
Publiziert: 19.01.2023 um 01:16 Uhr
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Aktualisiert: 19.01.2023 um 09:44 Uhr
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Andrei Sannikov amtete in den 1990er-Jahren unter Alexander Lukaschenko als Vize-Aussenminister von Belarus.
Foto: Thomas Meier
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Guido FelderAusland-Redaktor

Andrei Sannikov (68) kennt den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko (68) bestens. Als dieser 1994 Präsident wurde, arbeitete Sannikov unter ihm als stellvertretender Aussenminister, quittierte aber seinen Dienst schon bald aus Protest. An den Solothurner Filmtagen wird ein Dokumentarfilm über Sannikov gezeigt. Darin sagt er: «Lukaschenko kam mit dem Ziel, niemals wieder zu gehen.»

Blick sprach mit dem Lukaschenko-Herausforderer in Solothurn über seinen Kampf gegen den Putin-hörigen Diktator und über die Verwicklung von Belarus in den Krieg im Nachbarland Ukraine.

Herr Sannikov, der russische Präsident Putin hat angekündigt, belarussische Soldaten in den Krieg miteinzubeziehen. Warum ist das bis jetzt noch nicht passiert?
Andrei Sannikov:
Weil Putin den Befehl noch nicht erteilt hat. Belarus befindet sich aber schon mitten im Krieg. Die Invasion Richtung Kiew begann von Belarus aus, auch die jüngsten Raketenangriffe stammen aus meiner Heimat. Putin schaltet und waltet mit seinen Truppen auf belarussischem Boden nach seinem Belieben.

Wann kommt es zu einer weiteren Invasion in die Ukraine von Belarus aus?
Wann, kann ich nicht sagen. Aber es gibt Vorbereitungen. Putin muss etwas unternehmen, um dem Krieg eine neue Wende geben zu können.

Wie wichtig ist Ihr Land für Putin?
Von Belarus nach Kiew sind es nur 80 Kilometer. Ohne die Unterstützung von Lukaschenko kann Putin mit seinen Truppen die ukrainische Hauptstadt nicht erreichen und den Krieg nie gewinnen. Er braucht Lukaschenko, um der Welt zu zeigen, dass er nicht alleine ist.

Wie nahe stehen sich Lukaschenko und Putin?
Sie hassen sich.

Aber sie brauchen sich.
Sie unterstützen sich gegenseitig, um zu überleben. Es ist eine Beziehung zwischen Kriminellen – zwischen Mafiosi. Ohne Lukaschenko gäbe es diesen Krieg nicht.

Wie gross ist die Unterstützung in Belarus für den Krieg?
Nur Ungebildete und Kriminelle stehen hinter Putin. In der Armee gibt es viele Leute, die vor wenigen Jahren gegen Lukaschenko demonstriert haben. Wenn Lukaschenko ihnen den Befehl zum Einsatz gibt, werden sie ihre Waffen gegen ihn und nicht gegen die Ukrainer richten.

Lukaschenkos Herausforderer

Mit dem Dokumentarfilm «This Kind Of Hope» (Diese Art Hoffnung) über Andrei Sannikov (68) werden am Mittwoch die 58. Solothurner Filmtage eröffnet. Regie führte der in Libyen und Winterthur aufgewachsene schweizerisch-polnische Filmemacher Pawel Siczek (45).

Sannikov war 1995 bis 1996 unter Präsident Alexander Lukaschenko (68) Vize-Aussenminister von Belarus, trat aber bald aus Protest gegen dessen Herrscherstil zurück. Sannikov rüstete in Belarus eines der gefährlichsten Atomwaffenarsenale ab. Er arbeitete auch in der Uno-Mission in Genf und ist heute Vorsitzende der Bürgerbewegung «Europäisches Belarus».

2010 trat er bei der Präsidentschaftswahl gegen den heute noch regierenden Machthaber Lukaschenko an. Als er gegen den Wahlsieg seines Gegners demonstrierte, wurde er festgenommen und an beiden Beinen schwer verletzt. Er kassierte wegen «Organisation von Massenunruhen» fünf Jahre Gefängnis, kam aber nach zwei Jahren frei. Sannikov ist verheiratet und hat zwei Söhne. Heute lebt er im politischen Asyl in Warschau.

Mit dem Dokumentarfilm «This Kind Of Hope» (Diese Art Hoffnung) über Andrei Sannikov (68) werden am Mittwoch die 58. Solothurner Filmtage eröffnet. Regie führte der in Libyen und Winterthur aufgewachsene schweizerisch-polnische Filmemacher Pawel Siczek (45).

Sannikov war 1995 bis 1996 unter Präsident Alexander Lukaschenko (68) Vize-Aussenminister von Belarus, trat aber bald aus Protest gegen dessen Herrscherstil zurück. Sannikov rüstete in Belarus eines der gefährlichsten Atomwaffenarsenale ab. Er arbeitete auch in der Uno-Mission in Genf und ist heute Vorsitzende der Bürgerbewegung «Europäisches Belarus».

2010 trat er bei der Präsidentschaftswahl gegen den heute noch regierenden Machthaber Lukaschenko an. Als er gegen den Wahlsieg seines Gegners demonstrierte, wurde er festgenommen und an beiden Beinen schwer verletzt. Er kassierte wegen «Organisation von Massenunruhen» fünf Jahre Gefängnis, kam aber nach zwei Jahren frei. Sannikov ist verheiratet und hat zwei Söhne. Heute lebt er im politischen Asyl in Warschau.

Warum hört man so wenig von belarussischer Opposition?
Die Opposition sitzt im Gefängnis. Unsere Revolution startete 2020, aber sie wurde niedergeschlagen. Viele meiner Freunde wurden getötet oder inhaftiert. Ich musste mein Land verlassen.

Putin betreibt massiv Kriegspropaganda, um das russische Volk vom militärischen Einsatz zu überzeugen. Gibt es solche Propaganda auch in Belarus?
In Belarus versucht man, die russische Propaganda zu kopieren. Sie wirkt vor allem am TV, das kontrolliert wird und nur pro-russische Berichterstattung betreibt. Auf dem Internet sind gewisse Seiten blockiert.

In diesen Tagen haben Vertreter der Invasoren das Wort «Dritter Weltkrieg» in den Mund genommen. Wie weit wird Putin noch gehen?
Bis zu seinem Ende. Er hat keine andere Möglichkeit, weil er sich selber in eine Situation gebracht hat, in der er alles verlieren wird. Er hat praktisch die ganze Welt gegen sich.

Glauben Sie, dass es Lukaschenko inzwischen bereut, dass er mit Putin kooperiert?
Mafiosi bereuen ihre Taten nicht. Er hat viel Geld in die eigene Tasche geleitet und wird das Volk weiter ausbeuten. Er bereut höchstens, dass er nicht selber Zar im Kreml geworden ist. Er hatte ja solche Pläne 1996, als sich das Ende des damaligen Präsidenten Boris Jelzin nahte.

Sie sind bei der Wahl 2010 gegen Lukaschenko angetreten. Wohin hätten Sie Belarus als Präsident geführt?
Westwärts in die EU und die Nato. Da wären unserer Rechte besser geschützt.

Lukaschenko behauptet das Gegenteil.
Genau deshalb kämpfe ich ja auch gegen ihn.

Wie sieht Ihr Kampf heute aus?
Ich habe den diplomatischen Dienst für mein Land nie quittiert. Ich mache, was ich immer gemacht habe. Damals warnte ich vor einem russischen Angriff auf die Ukraine, und auch auf Litauen und Polen. Heute informiere ich die Welt darüber, was in meinem Land passiert.

Wann werden Sie in Ihre Heimat zurückkehren können?
Sobald es befreit ist.

Wann wird das sein?
Bald, in absehbarer Zeit.

Werden Sie wieder als Präsident kandidieren?
Diese Frage steht im Moment nicht im Vordergrund. Ich werde sicher politisch aktiv sein. Mein Team steht immer noch. Wenn der Diktator weg ist, fängt die Aufbauarbeit erst an.

Wie soll die Schweiz mit Lukaschenko umgehen?
Keine Deals mit dem Diktator eingehen und mehr Druck durch Sanktionen ausüben. Wenn der Druck gross genug ist, werden die politisch Gefangenen freigelassen. Dessen bin ich mir sicher.

Obwohl Sie nicht gerne im Scheinwerferlicht stehen, haben Sie einen Film über sich machen lassen, der nun in Solothurn Premiere feiert. Was wollen Sie mit dem Film erreichen?
Ich will zeigen, welche Gefahr von Lukaschenko ausgeht, und erreichen, dass sich etwas verändert. Und ich wünschte mir, dass es schon bald eine Fortsetzung des Filmes geben wird, in der man auch die schönen Seiten meines Landes zeigen kann.


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