Seit zwei Wochen greifen proukrainische Kämpfer Stellungen in der Region der russischen Stadt Belgorod an. Bisher sind mehrere Menschen getötet und Dutzende von Häusern beschädigt worden.
Am Wochenende sind die Kämpfe zwischen der russischen Armee und an der Seite der Ukrainer kämpfenden Freiwilligenverbänden erneut aufgeflammt. Russlands Verteidigungsministerium teilte mit, es sei gelungen, eine «Sabotage- und Aufklärungsgruppe ukrainischer Terroristen» am Überqueren eines nahe gelegenen Flusses zu hindern.
Warum schlagen proukrainische Rebellen gerade in Belgorod zu?
Belgorod war der Ausgangspunkt der Russen, als sie kurz nach Kriegsausbruch die 70 Kilometer entfernt liegende ukrainische Stadt Charkiw angriffen. Bei der Rückeroberung von Charkiw zogen sich Tausende russischer Soldaten nach Belgorod zurück. Die Stadt ist durch eine direkte Fernstrasse mit Moskau verbunden, das rund 600 Kilometer entfernt liegt.
In Belgorod haben die Russen Raketenrampen und Tanklager aufgebaut. Mindestens vier dieser Versorgungslager sind seit Kriegsbeginn in Flammen aufgegangen. In der Grenzstadt leben Zehntausende von Ukrainern, die nach Ausbruch des Kriegs im Donbass 2014 in die Region geflohen sind. Somit können die Angreifer auch mit Unterstützung vor Ort rechnen.
Welche historische Bedeutung hat Belgorod?
Die Stadt ist Wirtschafts- und Verwaltungszentrum der gleichnamigen Oblast und zählt rund 350'000 Einwohner. Sie war im Zweiten Weltkrieg von der deutschen Wehrmacht besetzt und zu 90 Prozent zerstört worden.
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Viele Menschen flohen oder wurden als Arbeiter nach Deutschland deportiert. Bei der Befreiung 1943 lebten gerade noch 700 Personen da. Heute trägt das mit 184 Metern Länge grösste Atom-U-Boot der Welt den Namen der Stadt.
Wer hat die Stadt in den vergangenen Tagen angegriffen?
Hinter den Angriffen seit dem 22. Mai stecken zwei rechtsextremistische russische Verbände, die aufseiten der Ukraine kämpfen: die Legion Freies Russland und das Russische Freiwilligenkorps. Auch polnische Söldner des Polnischen Freiwilligenkorps sollen neuerdings daran beteiligt sein.
Wie reagiert der Kreml?
Moskau zeigte sich «tief besorgt» wegen der Lage in Belgorod. Kremlsprecher Dmitri Peskow (55) nutzte den Anlass der «Sabotage ukrainischer Kämpfer gegen Russland» aber auch, um einmal mehr Moskaus Krieg gegen die Ukraine zu verteidigen.
Der frühere russische Geheimdienstoffizier Igor Girkin (52) sieht in den Angriffen auf russischem Gebiet vor allem ein «Ablenkungsmanöver des Gegners», um die seit langem geplante Grossoffensive zu beginnen. Ziel der Ukraine sei es, Russland dazu zu bringen, mehr Ressourcen zum Schutz des eigenen Staatsgebiets aufzuwenden.
Ist das der Beginn einer ukrainischen Gegeninvasion in Russland?
Der Kreml hat tatsächlich vor einer bevorstehender ukrainischen Invasion in Belgorod gewarnt. Laut Experten des amerikanischen Institute for the Study of War (ISW) ist dies aber reine Propaganda. «Russische Behauptungen über einen bevorstehenden ukrainischen Angriff auf das Gebiet Belgorod sind absurd und zielen nur darauf ab, die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen, damit sie den Krieg weiter unterstützt.»
Die Ukraine habe keinerlei strategisches Interesse an einer Invasion Russlands, zudem seien die ukrainischen Truppen gar nicht in der Lage, einen Angriff dieses Umfangs auszuführen.