Herdenimmunitäts-Annahme war falsch – Tegnell räumt Fehler ein
Schweden begrenzt Treffen auf acht Personen

Angesichts der zweiten Welle zeigt sich: Schweden hat keinen Corona-Vorteil. Das müssen Regierung und Staatspidemiologe nun zugeben. Und harte Massnahmen verhängen.
Publiziert: 16.11.2020 um 17:35 Uhr
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Aktualisiert: 16.02.2021 um 11:32 Uhr
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Schwedens Regierungschef Lövfen: «Sagen Sie ab!»
Foto: imago images/TT

Die Schweden greifen angesichts der hohen Corona-Zahlen durch. Ab jetzt sind Versammlungen nur noch mit maximal acht Personen erlaubt – bisher waren es 300. Das teilte Regierungschef Stefan Löfven (63) am Montag mit.

«Dies ist die neue Norm für die gesamte Gesellschaft», sagte Löfven laut einem Bericht der Nachrichtenagentur «Reuters». Er appelliert: «Gehen Sie nicht in Fitnessstudios, gehen Sie nicht in Bibliotheken, veranstalten Sie keine Abendessen! Sagen Sie ab!»

Damit ändern die Schweden ihren lockeren Corona-Kurs deutlich. Bisher hatten die Skandinavier vor allem auf Empfehlungen gesetzt. Erst ab Mitte Oktober wurden lokale Lockdowns ermöglicht – die schwedische Stadt Uppsala etwa nutzte das. Ein nationaler Lockdown blieb aber bis heute aus.

Tegnell: «Sehen viele Ausbreitungsherde»

Keine harten Massnahmen und trotzdem weniger Infektionen: Gespannt verfolgte die Welt das schwedische Experiment. Doch jetzt hat auch die zweite Welle die Skandinavier verschluckt – obwohl diese nach der heftigen ersten Welle mindestens auf eine Teil-Immunität gehofft hatten.

«Ich glaube, die Definition ist nicht so wichtig, aber wir sehen viele Ausbreitungsherde in vielen Regionen gleichzeitig gerade», räumte Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell (64) vergangene Woche auf einer Pressekonferenz ein.

Der Architekt hinter Schwedens Sonderweg hatte seinen Anti-Lockdown-Kurs monatelang als «nachhaltiger» verteidigt. Angesichts der vergleichsweise hohen Todeszahlen hatte er behauptet, andere europäische Länder hätten im Frühjahr noch gar keine echte Welle erlebt. Und darauf gesetzt, dass sich seine Strategie im Herbst bewährt.

Schweden sind ratlos

Nun müssen die Behörden einsehen, dass sie ihre hohen Infektionszahlen vom Frühjahr nicht schützen. «Wir sehen auch, dass viele andere Länder in Europa, die im Frühjahr eine grosse Wirkung hatten, in denen es Sperren gab und die jetzt wieder Sperren haben, jetzt ebenfalls einen grossen Anstieg verzeichnen», sagte Tegnells Kollegin Sara Byfors. «Es scheint also diesem Muster zu folgen, dass man, wenn man im Frühjahr viele Fälle hatte, auch jetzt viele Fälle sieht... Wir wissen nicht, warum das so ist.»

Wie aus den Vergleichswerten der EU-Gesundheitsbehörde ECDC hervorgeht, weist Schweden mittlerweile wieder die höchsten Neuinfektionsraten in Skandinavien auf. Die Zahl der bestätigten Corona-Fälle lag in Schweden in den vergangenen 14 Tagen bei knapp 485 pro 100'000 Einwohner. Das sind auf die Bevölkerung heruntergerechnet neunmal so viele Fälle wie in Finnland (54) und auch deutlich mehr als in Island (124), Norwegen (140) und Dänemark (257). (kin)

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