Schattenmann hinter Schwedens Sonderweg wird befördert
Tegnell-Berater Giesecke kriegt WHO-Spitzenjob

Er war der Mann, der Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell in Richtung Herdenimmunität drängte. Nun steigt Johan Giesecke bei der Weltgesundheitsorganisation auf.
Publiziert: 01.09.2020 um 14:11 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2021 um 16:31 Uhr
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Selbstbewusst: Schwedens Ex-Staatsepidemiologe Johan Giesecke.
Foto: imago images

Staatsepidemiologe Anders Tegnell (64) ist als Architekt hinter Schwedens Sonderweg bekannt. Doch ein Vorgänger stärkte ihm den Rücken: der Arzt und emeritierte Professor Johan Giesecke (70).

Kürzlich publik gewordene E-Mails der beiden Experten beweisen: Giesecke stupste den zweifelnden Tegnell in Richtung Herdenimmunität. «Ich glaube, dass Tausende in Schweden bereits infiziert sind ... das wird alles ein Ende haben, wenn so viele infiziert und daher immun sind, dass das Virus sich nicht mehr verbreiten kann (sogenannte Herdenimmunität)», schrieb Giesecke, der von 1995 bis 2000 schwedischer Staatsepidemiologe war und das schwedische Gesundheitsamt noch immer berät, überzeugt an seinen jüngeren Nachfolger.

Wegen Giesecke blieben Schwedens Schulen offen

Eifrig verteidigte Giesecke Schwedens Sonderweg in den vergangenen Monaten. In zahlreichen Interviews sprach er über den Anti-Lockdown-Kurs – und hob sein eigenes Zutun hervor. Stolz ist er etwa darauf, dass seinetwegen die Grundschulen in Schweden nie geschlossen worden seien. «Ich habe in verschiedenen Kontexten gesagt: Lass die Schule offen!», sagte er am Sonntag in einem Interview mit dem schwedischen Radio.

Dabei ist Schwedens risikoreicher Sonderweg, der dem Land rund 6000 Tote eingebracht hat, nach wie vor umstritten. Die meisten europäischen Länder – wie auch die Schweiz – hatten im Frühjahr vorsichtshalber die Schulen geschlossen, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus einzudämmen.

Dass zu Beginn der Pandemie noch nicht klar war, inwiefern Kinder zur Virusverbreitung beitragen, war Giesecke egal. Mehrfach betonte er, dass der Rest der Welt mit dem grossflächigen Lockdown quasi auf dem Holzweg sei. Angesprochen auf die Frage, warum er sich so sicher sei, sagte Schwedens Sonderwegs-Schattenmann: «Ich habe einfach ziemlich oft recht!»

Bei der WHO setzt er sich gegen den Lockdown ein

Nun erhält der selbstbewusste Tegnell-Berater einen Spitzenjob bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO): Als stellvertretender Vorsitzender leitet er künftig die «Strategische und technische Beratergruppe für Infektionsgefahren». Die als «STAG» oder «STAG-IH» bekannte Gruppe besteht seit zwei Jahren und berät den Generalsekretär der WHO in wichtigen strategischen Fragen. Unter anderem entwickelt die Gruppe Strategien, wie die WHO bei Viren wie dem Coronavirus vorgehen soll.

Gieseckes Vertrag mit dem schwedischen Gesundheitsamt wäre ohnehin Ende des Jahres ausgelaufen. Verlängern will ihn der Tegnell-Berater offenbar nicht. Lieber konzentriert er sich offenbar darauf, seinen Anti-Lockdown-Kurs weltweit populär zu machen.

Giesecke ist bereits seit längerem Mitglied der 13-köpfigen Expertengruppe. Anfangs sei es hauptsächlich um Ebola gegangen – bis die Erkrankung Covid-19 auftrat. «Eine Sache, die wir vorangetrieben haben, ist, dass man mit dem Lockdown in armen Ländern vorsichtig sein muss. Dort verursacht der Lockdown mehr Probleme, als er löst», sagte Giesecke dem schwedischen Radio. (kin)


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