Tegnell lästert über Schweizer Corona-Tracing-Methode
«Sie können Ihre Bekannten auch einfach selbst anrufen»

Der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell findet das organisierte Contact Tracing unnötig. Seiner Meinung nach gehts auch anders.
Publiziert: 25.08.2020 um 11:38 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2020 um 10:57 Uhr
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Anders Tegnell ging von Anfang an lieber den Sonderweg.
Foto: imago images/TT

Anders Tegnell (64) verteidigt seinen Corona-Kurs nach Kräften. Kaum ein Tag vergeht ohne ein neues Interview des schwedischen Staatsepidemiologen. In seinem neusten lästert er über die Infektionsverfolgung anderer Länder.

«Die Unterschiede sind nicht so gross. Die einzige Frage ist, wer die Kontakte knüpft», vergleicht er die Infektionsverfolgung von Deutschland mit Schweden. Bei den Skandinaviern ist die infizierte Person selbst dafür zuständig, jeden zu informieren, mit dem sie im Risiko-Zeitraum Kontakt hatte.

In Deutschland – beraten von Star-Wissenschaftler Christian Drosten (48) – liegt die Verantwortung für die Kontaktaufnahme mit möglicherweise infizierten Personen hingegen bei den Gesundheitsämtern. Genau wie in der Schweiz. Landesweit sind Dutzende Contact Tracer im Einsatz, um die Infektionsketten nachverfolgen zu können. An der Zuverlässigkeit der Methode gab es zuletzt immer wieder Kritik.

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«Sie haben als Infizierter eine grosse Verantwortung»

Tegnells Urteil über das deutsche wie auch Schweizer Modell: ineffizient. «Es ist genauso in Ordnung, wenn Sie Ihre Bekannten selbst anrufen», sagte Tegnell, Architekt des schwedischen Sonderwegs, am Sonntag in einem Interview mit dem schwedischen Fernsehen.

Und was, wenn die infizierte Person das nicht tue? «Wer würde das nicht tun?», gibt der so pragmatische wie sture Staatsepidemiologe zurück. «Sie haben als infizierte Person schliesslich eine grosse Verantwortung.»

Zahl der Neuinfektionen auf Schweizer Niveau

Schweden setzte in der Corona-Krise von Anfang an auf Eigenverantwortung. Statt strikter Massnahmen und Verbote gab es vor allem «Empfehlungen». Statt Lockdown gabs im Frühjahr nur vier offizielle Verbote: Nur Versammlungen mit mehr als 50 Personen, das Schlange stehen, eine Einreise und der Besuch in Altersheimen waren nicht erlaubt.

Schweden kämpfte lange mit stark steigenden Fallzahlen und vielen Todesfällen – die Hälfte der insgesamt rund 6000 Toten gab es in Alten- und Pflegeheimen, wo das Besuchsverbot erst spät eingeführt wurde. Aktuell liegt die Zahl der Neuinfektionen etwa auf Schweizer Niveau.

Die Infektionsverfolgung ist laut Tegnell auch in Schweden eines der wichtigsten Instrumente im Kampf gegen die Pandemie. Nach Angaben des Staatsepidemiologen wird der infizierten Person durch den Gesundheitsdienst mitgeteilt, dass sie die Infektion verfolgen muss. Ausnahme: Wenn der oder die Infizierte selbst zu krank ist. Tegnells Angaben zufolge habe sich das Verfahren etwa bei der Verfolgung von Infektionsketten bei der Geschlechtskrankheit Chlamydien bewährt.

Kritik an Tegnells Chlamydien-Vergleich

Den Bericht eines Infizierten, mit dem offenbar niemand über die Verfolgung von Infektionen gesprochen hat, wiegelt Tegnell ab. Das sei möglicherweise schon eine Weile her, erklärt er sich den offensichtlichen Missstand. «Das hat in verschiedenen Regionen mit unterschiedlicher Schnelligkeit begonnen.» Es gäbe eine sehr klare rechtliche Verantwortung für die Gesundheitsversorgung. «Ich bin überzeugt, dass es in allen Regionen immer besser wird.»

In den sozialen Netzwerken empörten sich zahlreiche Menschen nach dem Interview. Mehrere Nutzer wiesen darauf hin, dass Tegnells Chlamydien-Vergleich nicht stimme. Zur Verfolgung der Geschlechtskrankheit würden etwa Krankenschwestern vorherige Kontakte abfragen. Zudem müsse die Kontaktverfolgung bei Infektionskrankheiten laut schwedischem Gesetz durch Fachpersonal verfolgen. (kin)

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