Kamala Harris (56) war acht Jahre, als Joe Biden (77) in ihr Leben trat. Dabei kannten sie sich nicht persönlich – der junge Senator und Frühwitwer auf der Karriere-Überholspur in Washington und sie, Tochter einer Inderin und eines Jamaikaners. Als «verletzend», kritisierte sie Bidens damalige Politik.
Er sei damals dagegen gewesen, dass Kinder mit Bussen zu Schulen in anderen Bezirken gefahren wurden, um die Trennung von Schwarzen und Weissen aufzuheben – während ein kleines Mädchen in Kalifornien genau dadurch eine Chance bekam. «Das kleine Mädchen war ich», sagte sie in einer Debatte um die demokratische Präsidentschaftskandidatur im Sommer 2019.
Ein paar Wochen später stieg sie aus dem Rennen raus, doch der Satz blieb hängen.
Harris war immer die Erste
Bald nun ist das kleine Mädchen von damals die mächtigste Frau der Welt – als Vizepräsidentin von Joe Biden. Biden stellte sie nach ihrer Nominierung als «furchtlose Kämpferin für den kleinen Mann und eine der besten öffentlichen Bediensteten des Landes» vor. Geht nichts mehr schief, ist das historisch: Als erste Afroamerikanerin und Frau stünde Kamala Harris mit an der Spitze der USA.
Die Erste. Das war Harris 2017 auch schon als schwarze Senatorin von Kalifornien – und davor als schwarze Generalsstaatsanwältin. Auf der politischen Landkarte ist die 56-Jährige schwer einzuordnen. Ihre Bilanz kann sich sowohl bei Liberalen als auch Konservativen sehen lassen, sie selbst nannte sich schon «Top Cop». Hart ging sie gegen Straftäter vor, kämpfte aber auch für strengere Waffengesetze und die Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen.
Trump-Freund: «Sie ist klug.»
Im Senat spielte sie beim Impeachment-Verfahren gegen Donald Trump eine zentrale Rolle, stellte sich aber etwa bei Haushaltsfragen gegen den linken Senator Bernie Sanders. Wie Joe Biden gilt sie als Brückenbauerin zwischen den politischen Fronten. «Sie ist hartgesotten. Sie ist klug. Sie ist zäh», zollte ihr selbst der Trump-Vertraute Lindsey Graham (65) Respekt.
Gemeinsam mit Joe Biden hat sie eine lange To-do-Liste. Zahlreiche Vorstösse aus der Ära Trump will das neue Spitzenteam rückgängig machen – zuoberst steht die Rückkehr zum Pariser Klimaabkommen, ein Bekenntnis zum Atomdeal mit dem Iran und ein besseres Corona-Management.
Ihre Politik ist von Werten und Prinzipien geprägt, das wird sich aussenpolitisch auswirken. «Man muss seinen Freunden gegenüber loyal sein», sagte sie in der Vizepräsidentschafts-Debatte im Oktober. «Was wir bei Donald Trump gesehen haben, ist, dass er unsere Freunde verraten und Diktatoren weltweit umarmt hat.»
Gut möglich, dass die Nummer zwei auch schnell zur Nummer eins aufsteigt. Schon jetzt gilt sie als Topanwärterin für die Präsidentschaftswahl 2024. Und angesichts eines 77-jährigen US-Präsidenten kann es gut sein, dass die gut zwanzig Jahre jüngere Vizepräsidentin das Ruder mindestens inoffiziell in der Hand hält.
Dass der Vize auch mehr Einfluss haben kann, zeigt das Beispiel Dick Cheney (79), dessen Vermächtnis die USA bis heute beschäftigt: Die Nummer zwei unter George W. Bush (74) strengte 2003 den Irakkrieg an.