«Es ist ein absolutes Desaster»
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Zerstörung in Valencia:«Es ist ein absolutes Desaster»

Blick zu Besuch bei Familie Raga Micol in der Hölle von Valencia
«Manche Eltern haben nicht mal mehr Wasser für ihre Kinder»

Die vierköpfige Familie Raga Micol lebt in einem der am schlimmsten verwüsteten Vororte von Valencia. Am Abend des Sturms und der Flut bangten sie um ihre Verwandten. Nun klappern sie einen nach dem anderen ab und hoffen, dass alle gesund sind.
Publiziert: 01.11.2024 um 19:41 Uhr
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Aktualisiert: 01.11.2024 um 20:28 Uhr
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Miguel Raga Micol mit seiner Tante, die bei den Unwettern am Dienstag fast ihr Leben verloren hat.
Foto: Helena Graf

Auf einen Blick

  • Familie Raga Micol überlebt Flut in Catarroja, Valencia
  • Die Polizei kümmert sich mehr um Verhaftungen, statt zu helfen
  • Manche Verwandten haben alles verloren
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Helena GrafReporterin

Isabel Raga Micol (52) sitzt am Dienstagabend auf ihrem Sofa vor dem Fenster, sieht zu, wie der Wasserpegel draussen ansteigt. «Ich hatte solche Angst», erzählt sie. «Und ich werde dieses Gefühl nicht mehr los.» Was Isabel zu diesem Zeitpunkt nicht weiss: Etwa einen Kilometer weiter drücken die Wassermassen gerade ihre Schwester gegen eine Hausfassade. Bis zu den Schultern steht sie im reissenden Fluss, der vorher eine Strasse war.

Familie Raga Micol wohnt in Catarroja, einem Vorort von Valencia. Isabels Mann Salva (54) ist am Abend des Sturms geschäftlich in Madrid, ihre Söhne David (25) und Miguel (18) sind bei ihr. «Die Behörden haben uns nicht gewarnt», sagt David. «Aber meine Universität schickte uns Studenten eine Nachricht, wir sollten alle zu Hause bleiben.» Sie leben im ersten Stock, sind bereits ab den Abendstunden in ihrer Wohnung eingeschlossen. «Es hörte nicht auf zu regnen. Aber irgendwann ging ich trotzdem schlafen, weil ich wusste, dass ich sowieso nichts tun kann», erzählt David.

«Jetzt sind wir alle zusammen. Jetzt ist alles gut»

Es ist Donnerstagabend, Blick ist zu Besuch bei der Familie. Davids Freunde bringen der Familie Wasser, Lebensmittel, Feuchttücher. Zwei Stunden lang sind sie aus dem Süden Valencias hierhergelaufen. Viele Kilometer zu Fuss durch die Verwüstung. Denselben Weg hat Familienvater Salva hinter sich, als er gegen 20 Uhr die Wohnung betritt, seiner Frau und die Söhne in den Arm nimmt. «Jetzt sind wir alle zusammen. Jetzt ist alles gut», sagt er mit ruhiger Stimme.

Blick-Reporterin Helena Graf beim Abendessen mit Familie Raga Micol in Catarroja, Valencia.
Foto: Helena Graf

Isabel legt vier Packungen Fertigreis in die Mikrowelle, der Strom funktioniert wieder, zwischendurch zumindest. «Ich bin natürlich froh, dass mein Mann wieder da ist. Aber an meiner Angst ändert das nichts. Während des Sturms wusste ich immerhin, dass er in Madrid sicher war», erklärt sie. Miguel schöpft Thunfisch aus Dosen auf die Teller, dazu etwas Schinken und Reis. 

Im Esszimmer hängen Fotos aus Miguel und Davids Kindheit, über dem Sofa ein Bild der Eltern am Tag ihrer Hochzeit. Die Familie diskutiert über die Plünderungen in Catarroja und anderen vom Sturm betroffenen Gebieten. «Manche Eltern haben gar nichts mehr. Nicht einmal Wasser, das sie ihren Kindern geben können», sagt Salve. David entgegnet: «Papa, sie haben ja nicht nur die Lebensmittelläden geplündert. Sondern alle möglichen Geschäfte.»

Festnahmen wegen Plünderung statt Hilfe für Betroffene

Miguel sorgt sich um seine Freunde in der Nachbarschaft.
Foto: Helena Graf

Am Mittwoch gab das Innenministerium bekannt, man habe 39 Personen wegen mutmasslicher Plünderungen verhaftet. «Ich sah ein Polizeiauto durchfahren. Links und rechts standen die Menschen vor ihren zerstörten Wohnungen. Doch die Polizei kam nicht, um ihnen zu helfen», erzählt Miguel. Sein Bruder sagt: «Ich glaube schon, dass die Behörden ihr Möglichstes tun. Aber es ist einfach nicht genug.» Das Motto scheint zu sein: lieber verhaften, als zu helfen. 

Was der Familie und den Nachbarn hier am meisten fehlt, ist fliessendes Wasser. Die Toilette spülen sie mit Wasser aus einem kleinen PET-Kanister. «Ich wünsche mir, duschen zu können», sagt Isabel. Am späten Abend ist draussen Ruhe eingekehrt. Es hat zu nieseln begonnen. Gewitter sind keine angekündigt. «Die letzten Nächte habe ich sehr schlecht geschlafen», erzählt Miguel. «Ich muss immer an meine Freunde denken und an die Leute, die es schlimmer getroffen hat.»

«Ich wurde vom Balkon aus gerettet»

Salva Raga Micol tröstet seine Schwägerin nach der Flutkatastrophe.
Foto: Helena Graf

Am Freitagmorgen zieht Salva seine Gummistiefel an, die ihm bis unter die Hüften reichen. In der Nachbarschaft wohnen seine Verwandten. Zusammen mit seinen Söhnen stapft er durch den Schlamm zum Haus seines Cousins Javier. Er wohnt im Erdgeschoss, schlief, als das Wasser in seine Wohnung drang. «Ich bin aufgewacht, als das Wasser meinen Arm berührte», sagt Javier. Er sei in den ersten Stock geflüchtet. Seine Möbel, Bücher, den Fernseher haben die Fluten zerstört. Javier räumt die Sachen raus auf die Strasse, um den Boden in der Wohnung zu trocknen. Wie viele andere hier fühlt er sich im Stich gelassen. «Catarroja geht völlig vergessen. Auch in den Nachrichten berichten sie kaum über uns», ruft ein Mann von der anderen Strassenseite herüber.

Salva, David und Miguel gehen weiter, besuchen die Schwester der Mutter. Als Salva sie in die Arme schliesst, beginnt sie zu weinen. Er drückt sie an sich, flüstert: «Wir sind jetzt alle da.» Die Schwester erzählt vom Moment, als sie an dieser Hauswand stand, mitten in der reissenden Flut: «Über mir war ein Balkon, von wo aus ich gepackt und gerettet wurde.»

Familie Raga Micol hat die Flut schwer getroffen. Vieles ist kaputt, die Angst noch präsent. Doch sie schätzen sich glücklich: In ihrer Verwandtschaft haben alle überlebt. Mehr als 200 Menschen hatten nicht so viel Glück. 

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