Mit blossen Händen versucht eine Gruppe Männer ein rotes Autowrack umzukippen. Das Heck des Wagens liegt auf der Motorhaube eines weissen Vans. Der vordere Teil drückt gegen ein Eingangstor aus Metall, dahinter wartet eine ältere Frau. Sie ist eingesperrt, kann nicht über den Zaun klettern. Ein junger Mann mit Tattoos und graublauen Augen klettert auf das Dach des weissen Vans, ruft den anderen Anweisungen zu. Doch es ist sinnlos, das Wrack steckt fest.
Paiporta, ausserhalb von Valencia. In der Nacht auf Mittwoch fluten die Regenmassen den Vorort, reissen alles mit: Autos, Hausfassaden, Menschen. «Weiter hinten in unserer Strasse sind vier Menschen gestorben», sagt Florin. Er steht in einem Hauseingang, dreht eine Zigarette. Vor ihm blockiert eine Mauer aus übereinander liegenden Autos die Strasse. «Uns geht es gut so weit. Aber wir haben kein Wasser, keinen Strom, nichts.»
Mindestens 158 Menschen haben bereits ihr Leben verloren. Dutzende Weitere gelten als vermisst. Die Zahl der Opfer dürfte abermals steigen.
«Mir stand das Wasser bis zur Brust»
Vrezh (73) stapft über einen improvisierten Steg aus Matratzen durch den Schlamm. «Ich war früher Seemann», sagt er. «Am Abend des Sturms stand mir das Wasser bis zur Brust. Ich dachte, es reisst mich mit, doch ich schaffte es knapp noch zum Hauseingang. Wissen Sie, wie schwierig es ist, eine Tür zu öffnen, wenn die Wassermassen dagegen drücken?»
Am Donnerstag wurde Kritik am Katastrophenschutz laut. Die Menschen im Katastrophengebiet wurden erst am Dienstagabend um 20 Uhr gewarnt. Viel zu spät – und das, obwohl es schon seit dem Mittag schüttete. Bis zu diesem Zeitpunkt waren viele Menschen bereits in ihren Wohnungen oder Autos eingeschlossen. Wie viele es noch immer sind: unklar.
Obwohl Paiporta eines der am schlimmsten verwüsteten Gebiete ist, sind nur vereinzelt Polizisten, Soldaten und Zivilschützer unterwegs. Viele Bewohner verlassen den Vorort zu Fuss. Unter ihnen ein Vater mit fünf Kindern. «Praktisch der ganze Ort ist zerstört. Unser Haus steht noch. Aber wir müssen hier weg. Unsere Kinder sollen das nicht weiter sehen», erzählt er, schiebt einen Einkaufswagen mit wenigen Besitztümern vor sich her, Richtung Autobahn.
Guillermos (55) Wohnung wurde komplett zerstört. Er hat einige Wasserflaschen auf einen kleinen Karren geladen, bahnt sich den Weg durch die Verwüstung. Verzweifelt sagt er: «Niemand sagt uns, was wir tun sollen. Die schweren Maschinen sind noch nicht da. Sie helfen zuerst in den reicheren Quartieren.»
«Wenn die Behörden nicht helfen können, müssen wir es tun»
In Paiporta leben vor allem Arbeiterfamilien. Immer wieder brechen Menschen auf offener Strasse in Tränen aus. Manche haben alles verloren. Helikopterpropeller sind zu hören, Sirenengeheul, die ganze Zeit. Die Unwetterschäden – für Behörden und Militär nicht zu bewältigen.
Tausende vor allem junge Menschen sind auf den Strassen von Valencia unterwegs, schieben Einkaufswägen mit Nahrungsmitteln und Decken über die gesperrten Strassen. Sie organisieren sich in Whatsapp-Gruppen oder auf Telegram. Unter ihnen ist der Tech-Journalist Rubén: «Wenn die Behörden nicht helfen können, müssen wir es tun.»
Supermärkte, Bäckereien, Elektronikgeschäfte reihen sich an den Hauptstrassen im Vorort Catarroja aneinander. Ihre Schaufenster wurden zertrümmert, Fensterläden heruntergerissen. Plünderungen. Am Donnerstag teilte das spanische Innenministerium mit, man habe deshalb bereits 39 Personen verhaftet.
Für die Nacht auf Freitag sind in Spanien weitere Gewitter vorausgesagt. Sie betreffen die Region Castellón de la Plana, 100 Kilometer nördlich von Valencia. Tech-Journalist Rubén sagt: «Uns bleibt nichts als zu hoffen, dass das Wasser nicht bis zu uns fliesst.»