Auf einen Blick
Alle wollens, nur einer wirds: Am Donnerstagabend gaben sich die Kanzlerkandidaten von SPD, CDU, AfD und der Grünen im ZDF-Hauptstadtstudio die Türklinke in die Hand. Einer nach dem anderen trat aus dem dichten Berliner Schneetreiben herein ins Scheinwerferlicht, um sich den Fragen der 120 Studiogäste zu stellen. 140 Minuten dauerte das Ganze – und lieferte ein paar möglicherweise entscheidende Einblicke in das Denken jener Personen, die bald die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt regieren könnten.
Was also fiel auf?
Alice Weidel kommt nicht aus dem Angriffsmodus raus
Die AfD-Kanzlerkandidatin trat in Jeans und On-Schuhen vermeintlich volksnah vor die Gästeschar. Der Anschlag von München dürfte der AfD zusätzliche Wutwähler in die Arme spülen. «Mit einer AfD-geführten Regierung wäre dieser Mann gar nie in unser Land gekommen», hielt Weidel (46) fest.
Konfrontiert mit dem Schicksal einer georgischen Alterspflegerin, die einen negativen Asylentscheid erhalten hat und mit ihrer Abschiebung rechnen muss, sagte Weidel: «Wir brauchen eine Willkommenskultur für qualifizierte, Steuern zahlende Ausländer wie Sie!» Alle anderen brauche man nicht.
Dem Chef der georgischen Pflegerin schmetterte sie auf dessen kritische Nachfrage an den Kopf, seine Aussage wirke «auswendig gelernt». Einem Windmühlen-Unterstützer warf sie vor, er spreche sich nur für die Technologie aus, weil sie ihm «Profite bringt». Viele Freunde schuf sich die Rechtspolitikerin im ZDF-Studio nicht.
Robert Habeck kriegt Szenenapplaus für raren Politiker-Moment
Er hats tatsächlich getan: Der Grünen-Kandidat Habeck (55) gestand, die Streichung der Zuschüsse beim Kauf eines Elektro-Autos sei «ein Fehler» der Ampelregierung gewesen. Das komme selten vor, dass ein Politiker Fehler eingestehe, meinte ein Studiogast. Szenenapplaus für den Grünen!
Warum er sich denn als Grüner nicht für den Frieden, sondern für Waffenlieferungen an die Ukraine ausspreche, wollte ein Zuschauer wissen. Habecks Erklärung: «Stabilen Frieden gibt es nur mit einer Ordnung, bei der sich alle an die Regeln halten. Um diese Ordnung wiederherzustellen, müssen wir den Aggressor stoppen. Das kann nur mit militärischer Hilfe geschehen.»
Olaf Scholz ist an nichts schuld
Der SPD-Kanzler spielt weiter «auf Sieg», wie er sagt. Und das, obwohl seine Partei laut jüngsten Umfragen auf gerade noch 14 Prozentpunkte kommt. Die Verantwortung für sein politisches Versagen sieht Scholz nicht bei sich selbst. Der russische Angriff auf die Ukraine sei verantwortlich für die steigenden Preise und dafür, dass er nicht so viele Wohnungen pro Jahr bauen konnte, wie versprochen.
Scholz (66) versuchte, klarzumachen, dass seine Regierung vieles aufgegleist habe, was sich erst noch bemerkbar machen werde: Die E-Mobilität werde steigen, der Durchbruch bei den erneuerbaren Energien kommen, die Prävention von Gewaltverbrechen wie der Horrorfahrt von München sich verbessern. «Wir haben ein Gesetz durch den Bundestag gebracht, das es vereinfacht, solchen Personen schon auf die Schliche zu kommen, bevor sie zu Tätern werden», sagte Scholz.
Friedrich Merz verrät sein Trump-Rezept
Der letzte Gast war der höchstwahrscheinliche neue Kanzler. Merz (69) stellte einmal mehr klar, dass er unter keinen Umständen mit der AfD in Koalitionsverhandlungen gehen werde. «Die wollen aus der EU, aus der Nato, aus dem Euro: alles Dinge, für die meine Partei steht», betonte er. «Es gibt keine Parteien, die weiter auseinanderliegen als die CDU und die AfD.» Man dürfe sich nicht täuschen lassen: «Frau Weidel kommt elegant daher. Aber schauen Sie sich mal die Leute an, die da um sie sitzen. Auf europäischer Ebene will nicht einmal Marine Le Pen mit denen zusammenarbeiten.»
Fürchten tut sich Merz nicht nur vor der erstarkenden Rechtspartei, sondern auch vor dem neuen Wind, der aus den USA nach Europa herüberweht. Am Freitag wird US-Vizepräsident J. D. Vance (40) an der Münchner Sicherheitskonferenz mitteilen, wie die USA künftig militärisch mit Europa zusammenarbeiten (oder eben nicht mehr zusammenarbeiten) wollen. Das werde eine «sehr konfrontative Rede», weiss Merz. Der Freitag bringe eine «Zeitenwende». «Ich bin mittlerweile sehr pessimistisch, was die Ukraine betrifft. Wir werden uns später alle den Vorwurf machen müssen, warum wir der Ukraine nicht früher und nicht stärker geholfen haben.»
Und wie gedenkt Kanzler Merz, dereinst gegenüber Präsident Donald Trump (78) aufzutreten? Er habe vor seinem Wiedereintritt in den Bundestag für zwei amerikanische Unternehmen gearbeitet und kenne das Land und die Politik dort gut, sagte Merz. «Die Amerikaner haben keinen Respekt vor Menschen, die sich unterverkaufen. Wenn Sie als Zwerg kommen, werden Sie als Zwerg behandelt», sagte er. Immerhin das hat Merz auf seiner Seite: Zwergenhaft wirkt der 1,97-Meter-Hüne ganz und gar nicht.