Auf einen Blick
So hatte sich Olaf Scholz (66) seinen Abschlussauftritt als Kanzler im Bundestag sicher nicht vorgestellt: keine Dankesworte, keine Lobeshymnen, nur Spott und Hohn und frontale Angriffe.
Die letzte Sitzung des deutschen Parlaments vor den Wahlen am 23. Februar war eine radikale Abrechnung mit Scholz und seiner geplatzten Ampel-Regierung. Mehr als drei Stunden dauerte die «Debatte zur Situation in Deutschland». Es war eine Operation am offenen Herzen der deutschen Demokratie, ein Schlagabtausch mit haufenweise Seitenhieben, wenigen Visionen und einer brutalen Erkenntnis. Diese fünf Momente bleiben in Erinnerung:
Olaf Scholz versuchts als Merkel light – und scheitert
Die Pandemie und dann der russische Angriff auf die Ukraine: Das sind in den Augen von Scholz die Hauptverantwortlichen für die deutsche Misere. Er selbst: unschuldig! Nicht, dass es viele gäbe, die dieses Verdikt teilten. Aber: Der Sozialdemokrat hat auch seinen höchstwahrscheinlich letzten Auftritt vor dem Bundestag als Kanzler nicht zur Selbstreflexion genutzt.
Stattdessen versuchte er, Deutschlands schwindenden Optimismus mit einer Art Merkel-light-Aussage anzupeitschen: «Wir kommen da gemeinsam durch!», sagte Scholz in Anlehnung an Merkels «Wir schaffen das!»-Ansage von 2015.
Die Absicht ist klar: Scholz will jene Wählenden im Lager der CDU/CSU auf seine Seite ziehen, die «Mutti» Angela Merkel (70) nachtrauern und mit dem von ihr zuletzt deutlich kritisierten Friedrich Merz (69) wenig anfangen können. Gelingen dürfte ihm das kaum. Seine Partei kommt in Umfragen auf gerade noch 15 Prozent und droht hinter die Grünen auf den vierten Platz abzurutschen.
Friedrich Merz wird persönlich
«Was war das denn?», wollte der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz nach Scholz’ Rede vom Noch-Bundeskanzler wissen. Als «Treppenwitz» und als «lächerliches Schauspiel» bezeichnete Merz den Vortrag seines Vorredners. Für die Buh rufenden SPD-Vertreter im Saal zeigte er zynisches Verständnis: «Ich verstehe, dass Sie nervös sind. Die Hälfte von Ihnen wird hier bald nicht mehr sitzen», höhnte der 1,97-Meter-Hüne an die Adresse seiner Zwischenrufer.
Noch einmal machte er klar, dass für ihn «eine Zusammenarbeit mit der AfD nicht infrage» käme. Dass die Fraktion der Rechtspartei nach den Wahlen voraussichtlich auf die doppelte Grösse anwachsen werde, sei allein die Schuld von Scholz und seiner Ampel-Politik.
Merz’ Versuch, die bröckelnde «Brandmauer» gegen die AfD zu reparieren, war offenkundig – und notwendig. Ohne glasklare Abgrenzung zur AfD wird es der Union nicht gelingen, die SPD oder die Grünen zum Mitmachen in einer Koalition zu bewegen.
Alice Weidel lässt sich mit den eigenen Waffen schlagen
Die AfD-Kanzlerkandidaten wollte ihre Sprechzeit eigentlich für einen Blick in die Kristallkugel nutzen und mal erzählen, wie denn Deutschland mit der «Alternativen» als Regierungspartei aussehen würde (direkte Volksabstimmungen, eigene Währung, «gute wirtschaftliche Beziehungen zu allen Grossmächten»).
In Erinnerung aber bleibt vor allem der Schlagabtausch, den sie sich mit Vertretern der SPD, der Grünen und der Linken lieferte, die ihre Ansprache mit steten Zwischenrufen torpedierten. «Sie haben im Bundestag nichts verloren. Sie haben alle noch nie gearbeitet. Gehen Sie arbeiten. Dazu haben Sie ab übernächster Woche nach Ihrer Abwahl Gelegenheit», rief Weidel an die Adresse der «Keifer».
Als diese nicht aufhörten, wandte sich die AfD-Chefin an die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) und beschwerte sich über «diese Leute». Das könnte sie ihrer eigenen Fraktion ja auch mal sagen, entgegnete Bas kühl. Die AfD-Leute hatten zuvor zwei Stunden lang immer wieder mit teils profanen Zwischenrufen die Sitzung gestört. Weidel war baff, wirkte geschlagen – mit ihren eigenen Waffen.
Robert Habeck und die Grünen sehen schwarz
Fast schon mutig wirkte es, dass der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck (55) inmitten der aufgeheizten Stimmung eine Debatte über den in Vergessenheit geratenen Klimaschutz vom Zaun brechen wollte. Über das «animalische Grunzen der AfD» hinweg referierte er über Klimaziele und beklagte den Austritt der USA aus dem Pariser Klimaabkommen.
Das könne die Welt zwar knapp verkraften. «Wenn jetzt aber auch Deutschland die Klimaziele aus den Augen verliere, dann wird Europa nachziehen, und dann ist es endgültig vorbei mit dem Klimaschutz», warnte Habeck. Deutschland dürfte dem Populismus nicht hinterherlaufen.
Christian Lindner macht auf Elon Musk
Auch der geschasste Finanzminister Christian Lindner (46) hatte möglicherweise seinen letzten Auftritt vor dem Bundestag. Ob seine Partei die Fünf-Prozent-Hürde schafft und in Zukunft weiter mitdiskutieren darf, ist offen. Jedenfalls schien sich der Chef der deutschen FDP noch einmal richtig rhetorisch austoben zu wollen.
«Olaf Scholz sollte den Nobelpreis für Physik erhalten. Er hat die Existenz von Paralleluniversen endgültig bewiesen», witzelte Lindner in Anspielung auf Scholz’ vermeintlich weltfremde Sichtweise auf den Zustand Deutschlands. Deutschland habe keinen Mangel an Ressourcen, sondern einen «Mangel an Mut zur Priorisierung», mahnte Lindner. Das Bundesumweltministerium etwa könne man ersatzlos abschaffen. Der lähmenden «Bürokratisierung» im Land müsse man den Garaus machen.
Tönt genau wie der Tesla-Chef und Anti-Bürokratie-Beauftragte von Donald Trump (78), Elon Musk (53). Nur unterstützt der nicht Lindner, sondern Alice Weidel.
Fazit: Ein zerstrittener Haufen ist das derzeit in Berlin. Ob Deutschlands Polit-Gilde nach den Wahlen am 23. Februar auf den konstruktiven Weg zurückfindet? Zum jetzigen Zeitpunkt scheint das so unwahrscheinlich wie die Existenz von Paralleluniversen.