«Das Stromnetz würde zusammenbrechen»
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Mitarbeiter in Salzgitter (D):«Das Stromnetz würde zusammenbrechen»

Deutschland taumelt – und die VW-Stadt Salzgitter ist besonders schlecht dran
Nirgendwo zeigt sich die deutsche Misere besser als hier

Die VW-Stadt Salzgitter steht für den Niedergang der deutschen Wirtschaft. Noch rauchen hier die Schornsteine der Schwerindustrie. Doch Salzgitter droht ein böses Erwachen. Die Menschen vor Ort scheinen genau zu wissen, wer für die deutsche Misere verantwortlich ist.
Publiziert: 07.02.2025 um 09:57 Uhr
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Aktualisiert: 09.02.2025 um 07:36 Uhr
VW-Mitarbeiter Benjamin Znak schaut in eine düstere Zukunft.
Foto: Hans-Peter Breiter

Darum gehts

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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Salzgitter, das ist der Maschinenraum des einstigen Industriewunders Deutschland – und es ist Symbol für die Misere, in die die grösste Volkswirtschaft Europas unter der zerbrochenen Ampelregierung geschlittert ist. Die Schwerindustrie dominiert die 105’000-Seelen-Stadt in Niedersachsen. Säuerlicher Duft liegt in der Luft, Rauchsäulen steigen aus den Grossfabriken, und auf dem Parkplatz vor der Volkswagen-Fabrik steht Benjamin Znak (38) wie ein Turm in der Landschaft. «Früher war das wie ein Lottogewinn, wenn du eine Festanstellung bei VW gekriegt hast», sagt der Monteur zu Blick. «Heute hat man Angst, dass alles wegfällt, dass man plötzlich wieder bei null anfangen muss.»

Deutschland steckt in der Krise – nicht nur politisch. Negatives Wirtschaftswachstum zum zweiten Jahr in Folge, die Massenflucht ausländischer Investoren, die hohen Energiepreise und die Rekord-Bürokratie verderben die Stimmung. Die Arbeitslosigkeit ist mit 6,4 Prozent so hoch wie seit zehn Jahren nicht mehr. Es knarzt heftig im industriellen Gebälk. Und jetzt könnte alles noch viel schlimmer kommen.

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Salzgitter ist seit der Nazi-Zeit einer der Hauptproduktionsstandorte der deutschen Schwerindustrie.
Foto: Samuel Schumacher

VW-Dampf ablassen auf Youtube

Keine Firma verkörpert die miese Stimmung besser als VW, die einstige deutsche Vorzeigefabrik. VW, das war mal der Stolz der Nation. Jetzt kommt Volkswagen richtig unter die Räder. Die E-Auto-Offensive des Betriebs brachte nicht den erhofften Erfolg. Die Nachwirkungen der Diesel-Schummelkrise von 2015 sind noch immer zu spüren.

Das Management habe schwere Fehler gemacht, sagt Benjamin Znak. Auf seiner Mütze prangt das Logo der IG Metall, der Gewerkschaft, die kurz vor Weihnachten die Konzernleitung mit riesigen Demos in Salzgitter und an anderen Produktionsstandorten in die Knie zwang und die geplanten Werkschliessungen und Massenentlassungen abwenden konnte – vorerst mal bis 2030.

Richtig heftig könnten VW nun auch die von US-Präsident Donald Trump (78) angedrohten Strafzölle gegen Mexiko und Kanada treffen. Volkswagen hat in der mexikanischen Stadt Puebla eines seiner grössten Werke weltweit – und in Kanada möchte man künftig Autobatterien herstellen. Das deutsche «Handelsblatt» rechnet vor, dass die Strafzölle VW bis zu drei Milliarden Euro kosten könnten. Bitter für Salzgitter, bitter für Deutschland.

Znak beschäftigt das alles. Er war immer stolz, bei VW zu arbeiten. In der Fabrik in Salzgitter ist er «Vertrauensmann» wie schon der Vater es war. Nebenher schreibt er Songs und stellt sie auf Youtube. «Die grossen Tiere bauen Mist und die kleinen müssens gerade biegen», singt er in einem. «Fester Job, gerechter Lohn, ist das bald Vergangenheit?»

Zurück zur alten Käfer-Zeit

Deutschland habe die E-Mobilität ausgerufen, ohne die Infrastruktur dafür aufzubauen, sagt Znak. «Kanzler Scholz kam vor zwei Jahren persönlich hierhin für den Spatenstich unserer neuen Batterie-Fabrik.» Nur bringe das halt alles nichts, wenn der Strom wegen der abgeschalteten AKW immer teurer werde und funktionierende Ladesäulen schwer zu finden seien. «Ich wünsche mir, dass Deutschland wieder ein schönes Autoland werden kann wie damals, als wir VW Käfer produziert haben.»

Autos fürs Volk, Fahrzeuge für Normalverdiener statt Luxusboliden für die Gutbetuchten: Genau das will auch Cem Ince (31). Sein Konterfei guckt überall in der Stadt von Strassenlaternen und Bäumen auf das trübe Geschehen. «Aus dem Werk in den Bundestag», steht auf den Wahlplakaten des VW-Fabrikarbeiters. Er selbst steht an der Berliner-Strasse vor dem unscheinbaren Büro seiner Partei Die Linke. Links und rechts: türkische Restaurants, alte Wohnblöcke. Salzgitter hat eine der höchsten Pro-Kopf-Verschuldungsquoten ganz Deutschlands. Ince will das ändern: Kopf hoch statt in den Sand.

Viel Anlass für Optimismus bietet sich ihm allerdings nicht. «VW hat seine Probleme nicht gelöst, sondern nur vertagt», sagt Ince. «Wir wollen gute Autos, das Management will Margen.» Daran habe auch der Deal mit der Gewerkschaft nichts geändert. Viel mehr aber stört sich der Sohn einer Einwandererfamilie am roten Teppich, den Deutschland der Rüstungsindustrie ausrolle, während man bei der Modernisierung der Auto- und Energieindustrie auf die Bremse stehe.

64 Millionen Motoren: eindrückliche Salzgitter-Bilanz

«Für Aufrüstung ist offenbar immer Geld vorhanden. Für den dringend nötigen Umbau zur CO₂-neutralen Industrie gibts viel zu wenig Investitionen.» Das stört Ince. Dagegen will er als Abgeordneter in Berlin kämpfen. Doch die nationale Debatte in Deutschland stimmt ihn wenig zuversichtlich, dass sich bald grundlegend etwas ändert. «Wir führen lieber populistische Scheindebatten, die die Gesellschaft weiter spalten, statt die Probleme anzupacken.»

Dabei hätten mindestens die VW-Mitarbeiter hier in Salzgitter allen Grund, stolz zu sein. 64 Millionen Motoren haben die Arbeiterinnen und Arbeiter seit der Eröffnung des hiesigen VW-Werks 1970 hergestellt. Anpacken können sie. Der «kleine Mann» kann – wie so oft – herzlich wenig für die wirklich grossen Krisen.

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