90'000 Soldaten werden ab Februar den Ernstfall proben. Von Norwegen bis Rumänien – also der gesamten europäisch-russischen Grenze – und über vier Monate hinweg erstreckt sich das Nato-Manöver «Steadfast Defender 2024». Das Ziel der Übung: «Wir bereiten uns auf einen Konflikt mit Russland und Terrorgruppen vor», sagte der Vorsitzende des Nato-Militärausschusses, der niederländische Admiral Rob Bauer (61), nach zweitägigen Beratungen im Brüsseler Hauptquartier des Verteidigungsbündnisses. «Wenn sie uns angreifen, müssen wir bereit sein.» Stellt sich die Frage: Wie bereit ist die Schweiz?
Nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa ist das Szenario der Übung ein russischer Angriff auf Nato-Territorium, der zum Ausrufen des sogenannten Bündnisfalls nach Artikel 5 des Nato-Vertrags führt. Darin heisst es, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird. Und das mit gutem Grund: Die Nato muss schleunigst ihre Kriegstaktiken überarbeiten.
Der Kalte Krieg ist zurück
Laut einem Szenario der deutschen Bundeswehr könnte Kremlchef Wladimir Putin (71) bereits im November 2024 zum Angriff auf europäische Nato-Staaten blasen. Der deutsche Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (63) sagte am Freitag im Interview mit «Tagesspiegel»: «Wir hören fast jeden Tag Drohungen aus dem Kreml. Wir müssen also einkalkulieren, dass Putin eines Tages sogar ein Nato-Land angreift.» All diese Szenarien wecken Erinnerungen an den letzten grossen Ost-West-Konflikt: den Kalten Krieg. Und sie offenbart, dass die Nato eine wichtige Sache in den letzten Jahren grob vernachlässigt hat.
Zuletzt war die Angst vor einem Angriff aus dem Osten im Kalten Krieg so gross. Damals fürchtete sich die Welt vor einem Krieg mit der Sowjetunion. Auch hier bereitete sich das 1949 gegründete Bündnis auf den Ernstfall vor. Die letzten Nato-Manöver, die grösser waren als die nun geplante Übung, fanden vor der Auflösung der Sowjetunion im Jahr 1991 statt. Damals gab es unter anderem noch die Manöver-Reihe «Return of Forces to Germany» (Reforger). An ihr waren 1988 beispielsweise rund 125'000 Soldaten beteiligt.
Nato muss Kriegstaktiken überdenken
Seither hat sich die Welt grundlegend verändert. Besonders, was die Kriegsführung angeht. Heutzutage wird vor allem über leichte Waffen, Drohnen oder Cyber-Kriege nachgedacht. Mit seinem Überfall auf die Ukraine hat Russland aber den konventionellen Krieg – wo mit schwerfälligen Panzern, Artillerie und Infanterie gekämpft wird – zurück nach Europa gebracht.
Mit dieser Art der Kriegführung hatten sich die Nato-Armeen in den vergangenen Jahren kaum noch beschäftigt. Seit dem Beginn der russischen Invasion hat die Allianz daher ihre Strategie grundlegend überarbeitet. Ausserdem soll das Bündnis erweitert werden und es wurden Truppen in osteuropäische Mitgliedsländer verlegt. Das Bündnis ist nun also besser vorbereitet, wenn es zu einem Krieg an ihrer eigenen Ostgrenze kommt.
Wird Schweiz an Bündnisfall-Übung teilnehmen?
Die Nato macht also Ernst. An dem zweitägigen Treffen in Brüssel diese Woche haben nicht nur Nato-Staaten, sondern auch weitere «Partner», wie Admiral Bauer sie nennt, teilgenommen. Darunter auch Schweizer Delegierte. Das Ziel des Treffens: «Wir wollen die militärische Zusammenarbeit mit unseren Partnern ausbauen», so Bauer auf X. Wird die Schweiz also an der Übung «Steadfast Defender 2024» teilnehmen?
Ein Novum wäre die Teilnahme der Schweizer Armee an Nato-Übungen nicht. Seit 1996 nimmt die Schweiz regelmässig an Übungen und Manövern im Rahmen der von der Nato geschaffenen Partnerschaft für Frieden (PfP) teil. Ein Novum wäre aber, wenn die Schweiz an einer Übung für den Artikel 5 (Bündnisfall) teilnehmen würde, erklärt Armeesprecher Stefan Hofer auf Anfrage von Blick. «Die Möglichkeiten einer Beteiligung an solchen Übungen werden zurzeit geprüft», sagt er. An der «Steadfast Defender 2024» sei allerdings keine Beteiligung der Schweizer Armee vorgesehen.
Die Schweiz und die Nato wollen aber künftig enger zusammenarbeiten, wie die Schweizer Verteidigungsministerin Viola Amherd (61) und der Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (64) bei einem Treffen am letztjährigen WEF 2023 in Davos vereinbart haben. Und: Die Schweiz soll mitmachen können, wenn die Nato den Bündnisfall übt. Wenn sie also probt, wie die Partnerländer einen Mitgliedstaat verteidigen, der angegriffen wird. So schlägt es das Aussendepartement in einem Neutralitätsbericht aus dem Jahr 2022 vor. Dieser ist derzeit innerhalb der Bundesverwaltung in Konsultation.