Bereits im November 2024 könnte sich Europa im Krieg mit Russland befinden. So steht es in einem geheimen Dokument des deutschen Verteidigungsministeriums. Auch der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (63) und der schwedische Zivilverteidigungsminister Carl-Oskar Bohlin (38) warnen vor einer potentiellen baldigen Eskalation.
Ein Blick in den Machtapparat von Kremlchef Wladimir Putin (71) zeigt: Auch in Russland ist ein Krieg gegen den Westen das Thema Nummer eins. In staatlichen Fernsehsendungen haben prominente Wortführer in den letzten Wochen vermehrt zur Eskalation in der Ukraine und im Westen aufgerufen. Ist das alles nur billige Propaganda?
Der Duma-Abgeordnete Alexej Schurawljow (61) sagte etwa in der Talkshow «60 Minuten» des russischen Staatssenders Rossija 1: «Also, nur zu! Seid ihr bereit, einen Haufen Kriege zu führen? Nur zu, lieber Westen!» Auch in der Talkshow «Mesto Vstretschi» auf NTV wird heiss diskutiert. Geworg Mirsajan, Senior Associate Professor für US-Aussenpolitik in Russland, meint mit Blick auf den Krieg sogar: «Was ist der Sinn, wenn es keine Eskalation gibt?»
Propaganda soll russische Bürger verwirren
Was es mit diesen Drohungen auf sich hat, erklärt Gulnaz Partschefeld (42), Ex-Moderatorin des russischen Staatsfernsehens. Sie bezeichnet sich selbst als Tatarin. Bis 2006 arbeitete Partschefeld als Nachrichtensprecherin, auch für die staatliche Fernseh- und Radiogesellschaft Russlands. Partschefeld kennt also Putins Propaganda-Apparat von innen. Und sie weiss genau, wie diese TV-Sendungen funktionieren – und was sie bezwecken wollen. Seit 2008 lebt sie in der Schweiz und arbeitet als Lehrbeauftragte für russische Kulturgeschichte an der Universität St. Gallen.
Gegenüber Blick erklärt sie bereits im September, wie die russische TV-Propaganda funktioniert: «In der Sowjetunion hatten die Medien den Auftrag, die Meinung des Volkes mit Denkbefehlen brachial zurechtzubiegen. Das kann sich das moderne Russland nicht mehr leisten. Die Propaganda ist viel filigraner und vielfältiger als früher. Letztlich dient sie immer dem Hauptnarrativ: Der Westen ist böse und will uns zerstören.»
Daher bereiten ihr auch die aktuellen Äusserungen der TV-Propagandisten Sorgen. Allerdings nicht, weil sie einen baldigen Angriff Russlands auf den Westen befürchtet – sondern wegen des russischen Volkes. Sie erklärt: «Diese vielen Narrative bespielen diverse Szenarien.» Das Ziel: «Eine Situation zu schaffen, in der der einfache Mensch unsicher ist und sich selbst nicht zutraut, über die Aussenwelt zu urteilen. Sprich: Die Lage wird so komplex gemacht, dass das Gefühl vermittelt wird, dass nur einer an der Spitze der Macht diese beurteilen kann.»
Die Propaganda von Schurawljow und den anderen Moderatoren ist nach innen gerichtet, soll von anderen innenpolitischen Problemen ablenken und im Wahljahr 2024 das Gefühl vermitteln: Die aktuelle Regierung weiss, was sie macht, sie schützt uns. So die Vermutung Partschefelds.
Begriffe aus dem Zweiten Weltkrieg wiederholt
Trotzdem kommen Kampfansagen wie die des Duma-Abgeordneten Schurawljow bei der Bevölkerung offensichtlich gut an. Aus gutem Grund: «Die Sicherheit, dass alles, was passiert, seinen richtigen Weg geht – das ist das Gefühl, das am Ende einer solchen Sendung entstehen soll.» Der richtige Weg in diesem Fall: die Zerstörung des Westens. Für diesen Zweck scheuen die Propagandisten auch nicht vor Begriffen aus dem Zweiten Weltkrieg zurück: Die Ukrainer werden als Nazis und Faschisten bezeichnet, die ukrainische Regierung als Kiewer Regime, die Briten als Angelsachsen und die russische Opposition als die fünfte Kolonne.
Mit gutem Grund: «Russische Geschichte gesamthaft wird als der ewige Kampf mit dem bösen Westen gesehen.» Und das funktioniere gut, um die russische Bevölkerung in Schach zu halten. Denn in der russischen Bevölkerung herrscht, so Partschefeld, noch immer eine Weltansicht vor: «Es gibt uns – und den feindlichen Westen.»
Kommt es wirklich zum Krieg gegen den Westen?
Über diese Frage streiten sich aktuell die Experten. Der Raketen- und Nuklearforscher Fabian Hoffmann von der Universität Oslo drängt zur Eile. «Wir sind einem Krieg mit Russland viel näher, als die meisten Menschen glauben», schreibt er in einem Beitrag auf X. «Meiner Meinung nach haben wir bestenfalls zwei bis drei Jahre Zeit, um die Abschreckung gegenüber Russland wiederherzustellen.»
Weil Putin wisse, dass er kräftemässig der Nato unterlegen sei, würde er es gar nicht zur direkten Konfrontation kommen lassen, meint Hoffmann. «Russland würde nach russischer Doktrin versuchen, die Nato zur Unterwerfung zu zwingen, indem es signalisiert, dass es in der Lage ist, immer grösseren Schaden anzurichten.»
Der deutsche Politikwissenschaftler Liviu Horovitz schiesst auf X scharf dagegen: «Wenn das Schockieren der Menschen zu mehr Nachdenken führt, schön und gut, aber die Beweise aus Russlands Krieg gegen die Ukraine stützen diese Vermutungen nicht.» Und weiter: «Es gibt keinen Beweis dafür, dass der laufende Krieg Moskau gezeigt hat, dass es dem Westen an Entschlossenheit mangelt.»
Horovitz schlussfolgert: «Während Hoffmann unterm Strich wahrscheinlich richtig liegt, würde ich darauf wetten, dass das Problem mit Russland mit Leichtsinn und nicht mit Entschlossenheit zu tun hat.»
«Kaliningrad ist der rote Knopf, der Russland zu Vergeltungsmassnahmen zwingt»
Ernstzunehmen ist das Säbelrasseln aus Russland also allemal. Das zeigt auch ein aktueller Bericht von «Bild»: Das Pressebüro von Sergej Mironow (70), engem Putin-Vertrauten und Vorsitzendem der Kreml treuen Block-Partei «Gerechtes Russland – Patrioten – Für die Wahrheit», droht dem Westen nach Bekanntwerden des Geheimpapiers aus Deutschland.
Man werde jeden Versuch, russisches Staatsgebiet – beispielsweise die Enklave Kaliningrad – zu erobern, mit Vergeltungsmassnahmen bestrafen. «Dies ist eine echte rote Linie, oder vielmehr ein roter Knopf, durch dessen Anklicken der Westen Russland unweigerlich zu Vergeltungsmassnahmen zwingen wird», heisst es. Und weiter: «Als Atommacht», so Mironow, werde Russland «alle verfügbaren Kräfte und Mittel einsetzen, um sein Territorium zu verteidigen».