Gesetz gegen Kinderehen
Minderjährig, verheiratet? Neues Gesetz soll das verhindern

Ehen von Jugendlichen sind in der Schweiz bisher kaum zu annullieren. Der Bundesrat will dies im Gesetz ändern. Erzwungene Heiraten von Minderjährigen, Online-Vermählungen sowie Trauungen in den Auslandferien bleiben trotzdem schwierig zu ahnden.
Publiziert: 10.03.2024 um 09:03 Uhr
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Aktualisiert: 11.03.2024 um 10:10 Uhr
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In manchen Ländern sind Kinderheiraten gang und gäbe.
Foto: Pieter Ten Hoopen/VU/laif
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Andreas SchmidInlandredaktor

Sie sind oft aus Afghanistan, Syrien oder dem Irak in die Schweiz geflüchtet: junge Frauen mit ihren Eltern – und auch unbegleitet. Obwohl nicht volljährig, sind manche schon verheiratet. Zum einen mit Gatten, die weiter in der Heimat leben, zum anderen mit Ehemännern, die mit in die Schweiz gereist oder in einem Flüchtlingslager irgendwo in Europa gestrandet sind.

Im Ausland geschlossene Minderjährigen-Heiraten gelten hier in der Regel, obwohl man sich in der Schweiz erst ab 18 vermählen darf. Solche Ehen von Jugendlichen werden trotzdem äusserst selten aufgelöst. Auch werden viele erst offenkundig, wenn die Betroffenen bald oder bereits volljährig sind.

In diesen Fällen tasten die Gerichte die Heiraten meist nicht an und berufen sich auf eine Interessenabwägung; das führt dazu, dass nur ein Bruchteil von Minderjährigen-Heiraten annulliert wird. In einem auffälligen Fall von Interessenabwägung hatte das Genfer Kantonsgericht sogar eine religiöse Trauung im Iran nachträglich als gültige Heirat anerkannt, obwohl die Braut auch zum Zeitpunkt des Gerichtsentscheids erst 17-jährig war. Religiös vermählt worden war sie im Alter von 14 Jahren.

Häufig sind Minderjährigen-Heiraten mit Zwang verbunden, meistens – aber nicht immer – sind die Frauen noch im Jugendalter. Mit einer Gesetzesrevision will der Bundesrat solche Eheschliessungen verhindern beziehungsweise wirkungsvoll ahnden. Am nächsten Dienstag wird der Ständerat die Vorlage behandeln.

Grosse Dunkelziffer

Jährlich werden in der Schweiz rund 350 Zwangsheiraten gemeldet, einmal pro Tag wird die nationale Fachstelle für eine Beratung hinzugezogen. Fast 40 Prozent der Dossiers betreffen Minderjährigen-Ehen; jedes Jahr melden sich 130 Betroffene, die im Jugendalter vermählt wurden. Dabei nehmen Fachleute an, dass die Dunkelziffer beträchtlich ist.

In der neuen Gesetzesvorlage zentral ist die Anpassung der Klagefrist, um eine Ehe für ungültig zu erklären. Im Minderjährigenalter Vermählte und Behörden sollen künftig eine Heirat anfechten können, bis die beiden Partner 25 Jahre alt sind. Bisher ist ihnen das nur möglich, bis sie 18 werden. Danach gilt die Kinderheirat nach heutiger Praxis als «geheilt» und damit gültig.

Diese Änderung begrüsst Anu Sivaganesan, Präsidentin der nationalen Fachstelle Zwangsheirat. Ebenso wie die Absicht, nicht nur zivile, sondern auch religiöse Trauungen von Minderjährigen zu ahnden. «Solche sind in den Herkunftsländern der Betroffenen oft verbreiteter und noch bindender als zivile Eheschliessungen», hält Sivaganesan fest. Auch wenn in der Schweiz selbst eine religiöse Heirat nur erlaubt ist, wenn die Ehe zuvor zivil geschlossen wurde. Gleichzeitig sind im Ausland anerkannte religiöse Trauungen hierzulande anerkannt.

Trauung mit abwesendem Gatten

Sivaganesan kennt Fälle, in denen Imame und Priester 15-Jährige und Jüngere in der Schweiz in Zeremonien verheirateten. Sogar solche, bei denen dies in Abwesenheit der Gatten und über Online-Zusammenkünfte geschah. Kinder im Schutzalter, also unter 16-Jährige, werden in einigen Ländern auf Anordnung ihrer Familie getraut. Sie werden nach alter Tradition dem vom Umfeld erwünschten Mann zugeführt, bevor sie eine frei gewählte Liebesbeziehung eingehen können.

Verhindern soll das revidierte Gesetz auch sogenannte Ferienheiraten von Kindern. Immer wieder werden in der Schweiz lebende Migrantinnen während den Ferien in ihrer Heimat getraut. So verzeichnet die Fachstelle Zwangsheirat jeweils in den Sommerwochen deutlich mehr Meldungen als in den übrigen Monaten im Jahr. Ferienvermählungen würden vor allem in der Türkei, in Sri Lanka, Kosovo, Nordmazedonien, Eritrea, Somalia und Pakistan vollzogen, sagt Sivaganesan.

Trotz Gesetzesänderungen: Minderjährigen-Heiraten und Zwangsehen werden weiter schwer zu erkennen und vor Gericht zu sanktionieren sein. Das zeigt sich schon darin, dass es seit 2013, seit das Bundesgesetz gegen Zwangsheiraten in Kraft ist, in der Schweiz lediglich zehn Verurteilungen im Zusammenhang mit Zwangsheiraten gab.

Im Zweifel gegen das Opfer

Trotz Anpassungen im neuen Gesetz werde das Verhindern von Heiraten Minderjähriger in der Praxis enorm anspruchsvoll bleiben, sagt Anu Sivaganesan. Auch deshalb, weil die Interessenabwägung bei Ehen von Jugendlichen weiterhin im Gesetz verankert sein soll. Das heisst, dass auch künftig solche Ehen für gültig erklärt werden können, sofern sich die unter 18-jährigen Betroffenen dafür aussprechen. «Damit wird ein Schlupfloch offen gelassen», kritisiert Sivaganesan; denn nachzuweisen, dass jemand die Ehe nicht wolle, sei somit schwierig. Dementsprechend werde die Gesetzesrevision, die Minderjährigen-Heiraten bekämpfen soll, wenig helfen.

Sivaganesan verweist darauf, dass die Betroffenen unter grossem Druck ihrer Familien stünden, oft Drohungen ausgesetzt seien und sich dem Vorwurf ausgesetzt sähen, die Ehre und den Ruf der Familie zu beschädigen.

Ein exemplarischer Fall, den kürzlich ein Zürcher Gericht behandelte, stützt Sivaganesans Aussage. Eine im Alter von 14 Jahren in Afghanistan verlobte und mit 15 verheiratete Frau brachte vor, sie habe keine Wahlmöglichkeit gehabt, da sie von der Familie ihres Mannes psychisch gefoltert, vom Gatten mit Gürteln und Kabeln geschlagen und von den eigenen Eltern bedroht worden sei. «Die Verwandten haben mir gesagt, ich verlöre mein Gesicht und meinen Ruf, wenn ich den Auserwählten nicht heirate», gab die Frau an. Dabei habe ihr der Mann nicht gefallen und sie habe ihn kaum gekannt. Doch man habe ihr gesagt, «sobald ein Mädchen 14 oder 15 werde, müsse es verlobt werden, ansonsten dies als Schande angeschaut werde», heisst es in den Akten. Die Familie des Ehemanns habe sie als Eigentum angesehen.

Trotz dieser Schilderungen löste das Zürcher Gericht die Ehe nicht auf und erklärte sie für gültig. Die Aussagen der Frau liessen sich nicht beweisen und widersprächen dem Sachverhalt, den ihr Mann geltend mache, wird im Urteil festgehalten.

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