Es sind 33 Seiten, die das Staatssekretariat für Migration (SEM) lieber unter Verschluss halten wollte. Darin wird die Schweizer Asylpraxis für Eritrea detailliert beschrieben. Konkret geht es um die Fragen, die das Bundespersonal an Asylsuchende aus dem Land am Horn von Afrika stellt. Das Dokument ist die Grundlage, um zu entscheiden, wer bleiben darf und wer nicht.
Unbekannte Praktiken
Anfang August entschied das Bundesgericht, dass das SEM das Papier einem Waadtländer Anwalt herausgeben muss. Blick liegen Kopien davon vor. Das Dokument enthüllt Praktiken, die der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt sind.
Dabei fallen zwei Dinge auf. Eine Frau aus Eritrea wird normalerweise nicht als Flüchtling anerkannt, weil sie beschnitten wurde. Dasselbe gilt für den Fall, dass sie zwangsverheiratet wurde.
Grosses Problem bei eritreischen Frauen
In Bezug auf eine den Frauen drohende Genitalverstümmelung schreibt das SEM: «Wenn keine begründete Furcht besteht, werden entsprechende Gesuche in der Regel abgelehnt.» Das bedeutet, nur wenn der Frau individuell eine Genitalverstümmelung droht, kann das ein Asylgrund sein. Für die anderen Herkunftsländer gilt das Gleiche.
Die Situation in Afghanistan
Gemäss dem SEM «ist zu prüfen, wer genau eine Beschneidung gegen den Willen der Betroffenen verlangen und durchführen würde und warum es den Betroffenen konkret unmöglich sein sollte, sich erfolgreich dagegen zu wehren».
Eritreerinnen müssen unter anderem nachweisen, dass sie die Hilfe der Polizei oder der Frauenorganisation Hamade in Anspruch genommen haben. Viele Eritreerinnen fliehen aber genau vor den Behörden, deren Hilfe sie laut SEM in Anspruch nehmen sollten.
Trotz des Verbots von Genitalverstümmlungen, das seit 2007 in Eritrea gilt, sind laut Zahlen von Unicef dort 83 Prozent der Frauen zwischen 15 und 49 Jahren genitalverstümmelt. Nur sechs Länder schneiden schlechter ab.
Selbes Problem bei Zwangsheirat
Bei der Zwangsheirat, die vom SEM als menschenrechtswidrig eingestuft wird, klingt es ähnlich: «Im Asylverfahren zählt, ob eine Angst vor einer künftigen Zwangsheirat besteht und nicht, ob eine solche bereits stattgefunden hat.»
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Nur: Die Zwangsheirat kann ja auch mit ein Grund für die Flucht nach Europa gewesen sein. Muss die Frau nach Eritrea zurückkehren, kann ihr drohen, dass sie auch zum Ehemann zurückmuss, mit dem sie zwangsverheiratet wurde.
Auf die Diktatur vertrauen
Hingegen könne «die glaubwürdige Befürchtung einer Zwangsheirat zur Gewährung des Flüchtlingsstatus führen», betonte Anne Césard, Sprecherin des SEM. Allerdings «muss die betroffene Person auch bei einer befürchteten Zwangsheirat erklären können, warum sie sich nicht in der Lage fühlt, sich erfolgreich dagegen zu wehren, gegebenenfalls mit Hilfe der Behörden.» Notabene handelt es sich dabei um eine von der Welt stark abgeschottete Diktatur.
Die Haltung der Schweizer Asylbehörden zu Genitalverstümmelung und Zwangsheirat stösst auf Kritik der Politik: «Im Klartext: Es ist so gut wie unmöglich, aus diesen Gründen Schutz zu erhalten, wenn man Eritreerin ist», bedauert Grünen-Nationalrat Christophe Clivaz (54).
Darüber hinaus «ist es problematisch, dass sich die Schweizer Behörden hinter der Tatsache verstecken, dass die eritreische Regierung Massnahmen ergriffen hat», schimpft der Walliser Nationalrat. «Vor allem, wenn diese Regierung dafür bekannt ist, ihre Bevölkerung massiv zu misshandeln.»