General Sirski erklärt, warum die Ukraine in Kursk einmarschierte
«Der Feind will das Land ruinieren – ich hatte keine Wahl»

Im August wagte die Ukraine eine gewagte Operation: Erstmals verlagerten Kommandanten die Kämpfe mit dem Gegner auf russisches Territorium. Nun packt Kiews ranghöchster Militär aus – und erklärt, warum die Offensive nötig wurde.
Publiziert: 19.12.2024 um 19:37 Uhr
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Aktualisiert: 21.12.2024 um 13:17 Uhr
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General Sirski (links) spricht erstmals ausführlich über den ukrainischen Überraschungsangriff in Kursk.
Foto: Screenshot

Auf einen Blick

  • Ukraine marschierte in Russland ein und eröffnet neue Front in Oblast Kursk
  • Ukrainischer Oberkommandant bezeichnet Operation als notwendigen Präventivschlag gegen russische Offensiven
  • Russische Truppen führten 2501 Angriffe in 24 Stunden auf Region Donezk aus
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Janine EnderliRedaktorin News

Der Schritt überraschte die internationale Gemeinschaft: Anfang August marschiert die Ukraine mit zahlreichen Truppen nach Russland ein – und eröffnet in der Oblast Kursk eine neue Front. Plötzlich griffen ukrainische Bodentruppen russische Dörfer an – unterstützt durch Drohnen und Artillerie. Damit hat zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg eine fremde Armee russisches Staatsgebiet besetzt.

Militärexperten zeigten sich angesichts der wagemutigen Operation verblüfft und befürchteten eine Gegenoffensive im grossen Stil. Rund vier Monate später besetzt Kiew noch immer Teile der Oblast – auch wenn den Russen die Rückeroberung einiger Dörfer gelang.

«Ich musste diese Operation durchführen»

Für den ukrainischen Oberkommandant Alexander Sirski (59) war die «Operation Kursk» ein unabdingbarer Präventivschlag, wie er erstmals öffentlich zugibt. «Ich musste gleichzeitig den Angriff auf Charkiw stören, den Druck an der gesamten Front mindern und die Eröffnung einer weiteren Front in Sumy verhindern», erklärt Sirski im Gespräch mit der französischen Zeitung «Le Monde». Die Operation sei ein Präventivschlag gewesen, führt der Kommandant aus. «Ich hatte keine Wahl, ich musste diese Operation durchführen.»

Konkret: Sirski entschied sich, eine Offensive an der Stelle durchzuführen, an der Russland die wenigsten Kräfte gebündelt hat. Die heftigen Kämpfe entlang der übrigen Frontlinien veranlasste die russische Armee laut dem General dazu, «Kampfeinheiten aus der Region Kursk Richtung Süden zu verlegen, die ursprünglich für eine zweite russische Offensive vorgesehen waren.» Aus diesem Grund seien die Russen in Kursk deutlich geschwächt gewesen.

Bessere Verhandlungschancen?

Für Kommandant Sirski stellten diese Truppenbewegungen sowohl eine Gefahr als auch eine Chance dar. Die Gefahr bestand darin, dass «im Hochsommer die gesamte Frontlinie von Charkiw (im Norden) bis Saporischschja (im Süden) russischen Offensiven ausgesetzt war». Die Chance hingegen bestand darin, dass die Russen «in der Region Kursk fast keine Truppen mehr hatten».

Durch den Überraschungsangriff an der schwächsten Stelle sei es schliesslich gelungen, dem gesamten Angriffspotenzial der Russen eine Niederlage zu verpassen.

Russen auf dem Vormarsch

Experten vermuten ein weiteres Motiv hinter dem Einmarsch: Kiew könnte sich durch die besetzten Gebiete erhoffen, bei etwaigen Verhandlungen bessere Karten zu haben. Denn: Im Donbass steht die Ukraine weiter unter grossem Druck. Jüngst hat sich die Lage deutlich verschärft. Am Mittwoch haben russische Truppen innerhalb von 24 Stunden 2501 Angriffe auf und in der Region Donezk ausgeführt.

Es sei ein Jahr intensiver Gefechte gewesen, räumt der General angesprochen auf die jüngsten Gebietsverluste ein. «Wir kämpften in zehn Einsatzsektoren gegen einen Feind, der erhebliche Kräfte einsetzt, um das Land zu ruinieren.» Nach wie vor seien die «Intensität der Kämpfe sehr hoch» und «die Lage an der 1130 Kilometer langen Frontlinie angespannt», gibt Sirski zu.

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