Geleakte Pentagon-Papiere über die Ukraine und Russland
Diese üblen Folgen könnte das Datenleck haben

Mit jedem weiteren Tag wird klarer: Das veröffentlichte Material aus dem Pentagon ist für die USA und die Ukraine ein Desaster. Experten sprechen gar vom schwerwiegendsten Geheimdienst-Leck seit Jahrzehnten. Was bisher bekannt ist.
Publiziert: 11.04.2023 um 12:21 Uhr
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Aktualisiert: 11.04.2023 um 14:26 Uhr
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Eine grosse Menge an scheinbar geheimen Pentagon-Dokumenten, die in den sozialen Medien kursieren, beunruhigt die US-Regierung zunehmend.
Foto: AFP
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Schadensbegrenzung. Das ist aktuell die oberste Priorität der US-Regierung. Anfang April tauchte ein Stapel geheimer Dokumente auf, die militärische Einschätzungen zum Krieg in der Ukraine und CIA-Berichte zu einer Reihe brisanter Themen enthalten. Einige wurden Anfang März auf Discord veröffentlicht, einer bei Videospiel-Enthusiasten beliebten Chat-Site, so die Investigativ-Plattform Bellingcat. Einige Verschlusssachen waren bereits im Januar aufgetaucht.

Die Veröffentlichung dieser Dokumente ist eines der bedeutendsten Geheimdienstlecks in diesem Jahrhundert. Das sagt Thomas Rid (48) von der Johns Hopkins University, zum US-Magazin «The Economist». Gleichwertig sind höchstens noch der Datendiebstahl von Edward Snowden (39), einem ehemaligen NSA-Mitarbeiter, im Jahr 2013 und die Veröffentlichung von NSA- und CIA-Hacking-Tools in den Jahren 2016 und 2017.

Zahlen über ukrainisches und russisches Militär publiziert

Die wohl heikelsten Dokumente beschreiben den Zustand der ukrainischen Luftverteidigung. Diese befindet sich in einem desolaten Zustand, nachdem sie wiederholt russische Drohnen- und Raketenangriffe abgewehrt hat. Die Fähigkeit der Ukraine, ihre Frontlinien zu schützen, wird bis zum 23. Mai «vollständig eingeschränkt» sein, so die Schlussfolgerung.

Am Montag reagierte die ukrainische Regierung und versuchte, die durchgesickerten Informationen herunterzuspielen. Mychajlo Podoljak (51), ein hochrangiger Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (45), sagte, die Dokumente basierten «auf einer grossen Menge fiktiver Informationen» und hätten nichts mit den tatsächlichen militärischen Plänen der Ukraine zu tun.

Aber auch von den russischen Truppen wird kein rosiges Bild gezeichnet. Sie sollen mehr als doppelt so viele Soldaten wie die Ukraine verloren haben. Russlands «zermürbender Feldzug» im Osten wird «auf eine Pattsituation zusteuern» und das Ergebnis wird wahrscheinlich «ein langwieriger Krieg über 2023 hinaus» sein.

Dokumente sollen grosse Nato-Präsenz in der Ukraine beweisen

Aus einem Dokument geht ausserdem hervor, dass sich 97 Spezialkräfte aus Nato-Ländern in der Ukraine befinden. Damit wird das belegt, was Russland seit Beginn des Krieges behauptet: Das Land befinde sich nicht nur im Krieg mit der Ukraine, sondern mit der Nato. Die Angst vor einer direkten Konfrontation wächst weiter.

Douglas London, ehemaliger CIA-Offizier, sagte gegenüber Foreign Policy: «Während der Kreml versuchen wird, die undichten Stellen zu nutzen, um Spaltungen unter den Verbündeten der USA zu säen, sind die realen russischen Verluste und die Inkompetenz für den russischen Führer vielleicht genauso schädlich wie für die USA.»

So viel Schaden könnte das Leck anrichten

Die Dokumente werden weitreichende politische Folgen haben. Das Leck bestätigt, dass die amerikanischen Geheimdienste Russland in bemerkenswertem Masse durchdrungen haben. Das stellt auch ein Risiko für amerikanische Informanten in Russland dar.

Die undichten Stellen könnten das Vertrauen der US-Verbündeten in Washingtons Fähigkeit, Geheimnisse zu bewahren, erschüttern. Und die Dokumente deuten auf Bemühungen der USA hin, hochrangige ukrainische Beamte abzuhören, was das Vertrauen zwischen Washington und Kiew untergraben könnte. «Wenn so etwas im Vereinigten Königreich, in Israel, Deutschland oder Australien passiert wäre», so Experte Rid zu The Economist, «hätten die USA den Austausch von Informationen komplett eingestellt.»

Wie echt sind die Dokumente?

Noch immer ist unklar, wer diese Dokumente publiziert hat und mit welcher Intention. Einige glauben, dass es sich um einen Insider aus der US-Verteidigung handelt, der entschieden hat, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Andere sagen, dass es sich um einen Troll handelt, der nur für Aufreger sorgen wollte. Die Identität des Whistleblowers wird aber wohl nie bewiesen werden können.

Pentagon-Beamte bestätigten, dass es sich bei den undichten Stellen tatsächlich um legitime Dokumente des Verteidigungsministeriums handelt, sagten aber, dass einige offenbar verändert worden sind. Das US-Justizministerium teilte mit, dass es eine Untersuchung zu den offensichtlichen Indiskretionen eingeleitet hat, lehnte aber weitere Kommentare ab. Laut Berichten könnten diese Dokumente gar nur die Spitze des Eisbergs von Dokumenten sein, die bereits im Umlauf sind.

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