Über ein Jahr dauert der russische Angriff auf die Ukraine mittlerweile an. Eigentlich sollte die «Spezialoperation», wie der Krieg in Russland offiziell genannt wird, nur drei Tage dauern. Dann sollte Kiew in russischer Hand und der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) abgesetzt sein. Die russische Armee stiess allerdings auf heftige Gegenwehr – und kommt mittlerweile kaum mehr voran.
Trotzdem schickte Kreml-Boss Wladimir Putin (70) stetig weitere Soldaten in den Krieg. Experten erklärten das Vorgehen unter anderem mit der Verschleierungs-Taktik der Putin-Generäle. So sollen die höchsten Militärs schwere Verluste oder Niederlagen Putin bewusst vorenthalten haben, um ihre Macht nicht zu riskieren. Putin sei über die schwierigen Zustände an der Front nur vage auf dem Laufenden gehalten worden.
Nun aber scheint die Taktik nicht mehr aufzugehen. Wie die US-Denkfabrik Institute for Study of War (ISW) unter Bezug auf eine Aussage des US-Geheimdienst-Direktors schreibt, merkt Putin langsam, dass seine Armee derzeit «nur über stark begrenzte Fähigkeiten» verfüge. «Putin stellt sich vermutlich auf eine Verlängerung des Krieges ein. Er glaubt möglicherweise, dass eine Verlängerung des Krieges die Wahrscheinlichkeit erhöhe, seine strategischen Ziele zu erreichen», heisst es in dem neusten Bericht.
Neuer Zoff zwischen Wagner und Kreml
Nach der Mobilisierung von 300'000 Soldaten im vergangenen Herbst setzt Putin derzeit vor allem auf Freiwillige. Wie das ISW schreibt, stellt derzeit der staatliche russische Energieversorger Gazprom eine Freiwilligen-Armee auf die Beine. Wer bei Gazprom arbeite und sich freiwillig für den Dienst einteilen lasse, könne bis zu 8000 Dollar im Monat verdienen.
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Laut dem ISW könnte die neue Gazprom-Einheit im besetzten Gebiet Donezk bereits in naher Zukunft um Rekruten werben. Dafür soll Gazprom eigens eine Ermächtigung beim Kreml eingeholt haben.
Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin dürfte daran wenig Freude haben. Sollte Gazprom in Donezk eine Mobilisierungs-Kampagne durchführen, käme der staatliche Energiekonzern der Wagner-Gruppe in die Quere. Diese führt eine eigene Rekrutierungskampagne in der Region durch. Bereits heute brodelt es zwischen Prigoschin und Putin. Die neusten Geschehnisse rund um die neue Gazprom-Einheit dürften für weiteren Zündstoff sorgen.
Putin hält an seinem Traum fest
Seine Ziele verändern will der Kreml-Chef nach wie vor nicht. «Putin hält an seinen maximalistischen Kriegszielen fest – trotz der stark begrenzten Möglichkeiten seiner Streitkräfte, diese zu erreichen.» Heisst: Putin will weiterhin die Vergrösserung des russischen Staatsgebietes. Sein Traum: die Wiedergeburt der Sowjetunion.
Dafür soll Putin auch einen langen Krieg in Kauf nehmen – und könnte vielleicht sogar noch mehr Menschen in den Krieg schicken. US-Geheimdienst-Direktor Avril Haines erklärte, Russland dürfte in Zukunft Schwierigkeiten haben, die derzeitige Operation in der Ukraine fortzusetzen, ohne weiteres Personal zu mobilisieren. Auch bräuchte der Kreml dringend Munitions-Nachschub. Mittlerweile erhalten die Soldaten an der Front sogar rostige Munition, weil nicht mehr genügend Nachschub zur Verfügung steht.