Seit dem 24. Februar, also seit über drei Monaten, führen russische Truppen auf Geheiss des Kreml-Chefs Wladimir Putin (69) Krieg gegen die Ukraine. Während sich der Angriffskrieg langsam, aber sicher in eine Art Zermürbungskrieg verwandelt, verliert Putin nicht nur Top-Kommandanten an der Front. Auch die Ränge der Spitzenpolitiker im Kreml leeren sich.
Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, musste der russische Präsident Ende Mai einen weiteren Verlust verkraften: Walentin Jumaschew (64) hat seine Rolle als Kreml-Berater aufgegeben. Zwar ist der 64-Jährige kein Top-Berater. Er bekommt für seine Dienste kein Geld. Sein Einfluss wird als gering eingeschätzt.
Für den Putin ist dieser Abgang trotzdem ein Problem. Mit seiner Kündigung wurde die letzte Verbindung des Kremls zur einflussreichen Jelzin-Familie gekappt. Denn Jumaschew ist mit Tatjana Jelzin (62) verheiratet und somit der Schwiegersohn von Boris Jelzin (1931-2007), der von 1991 bis 1999 Präsident von Russland war und Putin massgeblich zu seiner Macht verhalf.
Die stellvertretende Geschäftsführerin der Stiftung des Boris-Jelzin-Präsidentenzentrums, in der Jumaschew Mitglied des Kuratoriums ist, erklärte gegenüber Reuters, dass Jumaschew den Kreml auf eigenen Wunsch verlassen habe. Zuvor hielt der 67-Jährige allerdings 25 Jahre lang der russischen Regierung die Treue. Der Ukraine-Krieg scheint doch nun diese Loyalität geändert zu haben. Und das nicht nur bei Jumaschew. Sein Abgang ist nur einer von vielen.
«Noch nie in meinem Leben habe ich mich so für mein Land geschämt»
Bereits im März verliess Anatoli Tschubais (66), eine weitere hochrangige Persönlichkeit aus der Jelzin-Ära, seine Rolle als Sondergesandter des Kremls und verschwand aus Russland. Unter Putins Macht galt Tschubais als einer der liberalsten Politiker im Kreml.
Putin verliert immer mehr Berater und Kommandanten
Ende Mai beendete auch Boris Bondarew (41), russischer Berater bei den Vereinten Nationen (Uno), nach 20 Jahren den Dienst für sein Vaterland. In einer Erklärung schreibt er: «Noch nie in meinem Leben habe ich mich so für mein Land geschämt. Dieser von Putin ausgelöste aggressive Krieg gegen die Ukraine und gegen den gesamten Westen ist nicht nur ein Verbrechen gegen die ukrainische Bevölkerung, sondern auch vielleicht das schwerste Verbrechen gegen die Menschen in Russland.»
Einst Sprungbrett für Putin
Die Jelzin-Familie hat sich schon früh klar gegen die russische «Spezialoperation» in der Ukraine positioniert. Unter Jelzin öffnete sich Russland gegenüber dem Westen, es war eine Zeit liberaler Reformen – kein Wunder also, dass die ehemalige Präsidentenfamilie den Krieg verurteilt. Jumaschews Tochter Maria postete am 24. Februar sogar ein Bild der ukrainischen Flagge auf Instagram, unter die sie schrieb; «Nein zum Krieg».
Unter Jelzin diente Jumaschew als Kreml-Berater und später als Stabschef des Kremls. 1997 leitete er die Präsidialverwaltung, als Putin, ein ehemaliger KGB-Spion, der ein Jahr zuvor eine mittlere Verwaltungsposition im Kreml erhalten hatte, zum stellvertretenden Stabschef des Kremls befördert wurde.
Diese Beförderung bildete das Sprungbrett für Putin, der zu Jelzins Nachfolger ernannt wurde und im Jahr 2000, nachdem Jelzin zurückgetreten war, die Präsidentschaftswahlen gewann. Obwohl sich Putins Politik im Laufe der Jahre von den Werten, die Jelzin vertrat, entfernt hat, hat der russische Staatschef seine Verbindungen zur ehemaligen ersten Familie beibehalten. Der Krieg treibt nun einen Keil zwischen diese Beziehung. (chs)