Auf einen Blick
- Frank A. Meyer hält den deutschen Parteien den Spiegel vor
- Die Grünen: «Eine säkular-religiöse Erweckungsbewegung mit Erziehungsanspruch»
- Die SPD: «Hat sich von der Arbeiterschaft entfremdet»
- AfD: Kritik an den Funktionären, Verständnis für ihre Wähler
Sie leben seit 20 Jahren in Berlin. Haben Sie die deutsche Politik je so zerrissen erlebt wie heute?
Frank A. Meyer: Nein! Unter Angela Merkel wurde Politik so weit heruntergedimmt, dass man sie kaum noch wahrnahm. Im Grunde hat sie ihre DDR-Sozialisation demokratisch umgesetzt.
Wie meinen Sie das?
Wie die Politik in der DDR alternativlos war, betrachtete sie auch ihre Politik als alternativlos. Es waren Jahre der Unpolitik. Ich mochte Merkel persönlich, aber sie hat nicht verstanden, dass Politik mehr ist als Wahlen alle vier Jahre – in der Demokratie ist Politik jeden Tag.
Hat sich mit Olaf Scholz (SPD) und seiner Ampelregierung nichts verändert?
Die Ampel war eine Fortsetzung Merkels – unter dem verheerenden Einfluss der Grünen. Die sind keine Partei, sondern eine säkular-religiöse Erweckungsbewegung.
Frank A. Meyer, Jahrgang 1944, beschreibt und beurteilt seit über 40 Jahren in seiner SonntagsBlick-Kolumne das Geschehen in Politik und Gesellschaft. Er ist in Biel geboren und lebt mittlerweile seit rund 20 Jahren in Berlin. Meyer schreibt auch regelmässig für das deutsche Polit-Magazin «Cicero». Der Journalist ist gelernter Schriftsetzer und Präsident der Stiftung Hans Ringier, zu der auch die Ringier Journalistenschule gehört.
Frank A. Meyer, Jahrgang 1944, beschreibt und beurteilt seit über 40 Jahren in seiner SonntagsBlick-Kolumne das Geschehen in Politik und Gesellschaft. Er ist in Biel geboren und lebt mittlerweile seit rund 20 Jahren in Berlin. Meyer schreibt auch regelmässig für das deutsche Polit-Magazin «Cicero». Der Journalist ist gelernter Schriftsetzer und Präsident der Stiftung Hans Ringier, zu der auch die Ringier Journalistenschule gehört.
Zu den Grünen kommen wir noch. Beginnen wir aber mit der AfD, die das deutsche Parteiensystem ins Wanken bringt.
Es ist eine Partei, die mangelnde Intelligenz und Kultur mit Vulgarität ersetzt. Damit meine ich die Funktionsträger, nicht ihre Wähler. Diese flüchten sich dorthin.
Sie verstehen also die Menschen, die AfD wählen?
Absolut. Wohin sollen sie sonst, wenn sie genug haben von den katastrophalen Folgen der Merkelschen Willkommenspolitik?
Halten Sie AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel für rechtsextrem oder einfach für eine Opportunistin?
Sie ist uninteressant. Ob rechtsextrem? Ich weiss es nicht. Natürlich ist die Partei sehr rechts und zieht problematische Leute an. Aber vielleicht liesse sich das meistern – so, wie es die Schweiz mit der SVP vormacht.
Indem man sie einbindet statt ausgrenzt?
Ja, indem man anerkennt: Es gibt sie und es gibt ihre Wähler. Inzwischen ist die SVP die grösste Partei der Schweiz – und die Schweizer Demokratie funktioniert immer noch.
Dann halten Sie nichts von der «Brandmauer» der etablierten Parteien gegen die AfD?
Dieses Brandmauer-Gerede kann ich als Schweizer nicht ernst nehmen. In der Schweiz wurde am vergangenen Sonntag eine Volksinitiative der Jungen Grünen von 70 Prozent der Stimmbürger abgelehnt. War das nun eine inakzeptable Entscheidung, weil sie auch durch SVP-Wähler zustande kam? Die Brandmauer ist absurd. Die deutschen Parteien haben in diesem Punkt die Demokratie noch nicht verstanden.
Die Rechtspopulisten treiben alle mit dem Thema Migration vor sich her. Sie selbst kritisieren die Einwanderung aus islamischen Ländern seit Jahren. Warum haben die grossen Parteien das Thema lange tabuisiert?
Der Islam ist eine historisch verspätete Religion – eine patriarchalisch geprägte Herrschaftsideologie. Das führt zwangsläufig zu Konflikten mit unserer offenen Gesellschaft. Das Problem wird verdrängt.
Spätestens seit den Anschlägen von Aschaffenburg und jetzt von München nicht mehr, oder?
Doch. Solche Anschläge sind extremste Auswüchse. Das Grundproblem wird nicht anerkannt. Man erfand den Begriff «Islamismus», um sagen zu können: Das sind nur Extremisten. Oder man spricht bei Frauenmord neutralisierend von «Femizid». Alles, um ja keine Verbindung zur islamischen Glaubenslehre herzustellen.
Warum diese Verdrängung?
Weil man den Konflikt scheut. Und natürlich, der Konflikt wäre gewaltig.
Das fällt der Ampelregierung nun auf die Füsse – und stärkt die AfD.
Ja. Für den Aufstieg der Rechtspopulisten tragen die Linksgrünen die Hauptverantwortung. Die SPD hat sich der Arbeiterschaft entfremdet. In der SPD gibt es kaum noch Werktätige, obwohl diese heute eine modern-kompetente Arbeiterschaft bilden. Die SPD ist durchakademisiert und hat den Kontakt zu den Arbeitern verloren.
Aber sie steht doch nach wie vor für einen starken Sozialstaat.
Der Sozialstaat ist ihr grosses historisches Verdienst. Die Sozialdemokratie hat zusammen mit liberalen Kräften die moderne Demokratie gestaltet. Sie war die einzige Partei, die konsequent gegen Nazis kämpfte, die sich dem Ermächtigungsgesetz widersetzte, das Hitler 1933 die totale Macht übertrug. Heute steht sie noch für Rente und Sozialleistungen, aber politisch-kulturell interessiert sie sich für die einfachen Menschen überhaupt nicht mehr. Ihr Liebling ist der Migrant.
Kommen wir zu den Grünen. Ihr Kanzlerkandidat Robert Habeck besucht im Wahlkampf Bürger zu Hause. Würden Sie mit ihm in Ihrer Küche diskutieren?
Nein, auf solches Theater lasse ich mich nicht ein. Eine Marketing-Show.
Habeck gibt sich als selbstkritischer Politiker, der die Menschen mitnimmt. Nehmen Sie ihm das nicht ab?
Er ist ein guter Schauspieler – immer in der Rolle, die gerade gefragt ist: Am Strand mit Fotografen gibt er den einsamen Denker. Mit Krawatte spielt er den Staatsmann. Mit Kaschmirpullover den Kuschelboy. Wer Habeck wirklich ist? Keine Ahnung.
Kürzlich sagten Sie: «Wenn die Grünen regieren, schicken sie mir Aufseher ins Haus, um meinen Kühlschrank zu kontrollieren.» Eine Polemik, die von CSU-Chef Söder sein könnte.
Nur weil Söder es sagen könnte, ist es nicht falsch. Die Grünen sind eine Erziehungspartei. Eine Glaubensbewegung. Und die funktioniert über Bevormundung.
Stehen die Grünen nicht einfach für unpopuläre, aber notwendige Klimaschutz-Massnahmen?
Mit dem Klima haben sie ihre Apokalypse gefunden. Religionen brauchen ein Unheil und ein Heil. Die wohlstandsverwöhnten Grünen predigen die Klimakatastrophe. Als Kinder wurden sie vom Papa mit dem SUV zur Schule gefahren, jetzt wollen sie den SUV verbieten – ihr Vatermord. Autofahren wird verteufelt, aber wer fährt Auto? Nicht die grünen Städter, die das ideologisch korrekte Lastenfahrrad benützen; angewiesen auf das Auto ist die Mutter mit zwei Kindern, die am Stadtrand oder auf dem Land in einer gerade noch erschwinglichen Wohnung lebt.
Nüchtern betrachtet gibt es aber auch wissenschaftliche Argumente für mehr Klimaschutz …
… ich bin da ganz nüchtern: Natürlich verändert sich das Klima. Aber die Grünen instrumentalisieren es. Eine gigantische Bürokratie wächst, überall Experten, die dem Bürger sagen, was er tun soll: Die Kindeskinder der materiell erfolgreichen 68er-Generation müssen mit rentensicheren Positionen versorgt werden – am besten als Politologen-Soziologen-Psychologen.
Sie lassen kein gutes Haar an den Grünen?
Doch! Wie die Sozialdemokratie den Sozialstaat ermöglichte, haben die Grünen das Umweltthema gesellschaftsrelevant gemacht. Doch sie sind zu Verkündern des Wahren-Guten gegen das Verdorben-Böse verkommen – das Gift der Religion, das inzwischen auch die SPD befallen hat. Wie sich die Sozialdemokraten einst von den Kommunisten trennen mussten, müssen sie sich heute von den Grünen trennen.
Diese Trennung kommt sowieso, weil sie nach der Wahl kaum noch zusammen regieren werden.
Darum darf Merz nicht mit den Grünen koalieren. Sonst geht auch die CDU kaputt. Er muss auf die Liberalen hoffen.
Wie sehen Sie Merz, den wahrscheinlichen nächsten Kanzler?
Interessant. Er ist mit 69 schon älter, aber politisch jung, weil er durch seinen politischen Rückzug in den Merkel-Jahren nicht beschädigt wurde – ein junger Älterer sozusagen.
Zwangsläufig. Merkel hat ihn rausgeschmissen.
Ob zwangsläufig oder nicht: Er arbeitete erfolgreich in der Wirtschaft. Er bringt das frische Wirtschaftsdenken mit, das Deutschland gerade so dringend braucht. Übrigens ist er eine sympathische Persönlichkeit – kein Gehässiger, aber einer, der klare Worte findet.
Merz will nichts mit der AfD zu tun haben. Aber ohne AfD kann er keine Migrationspolitik durchsetzen. Eine Falle?
Die Falle stellten ihm SPD und Grüne. Nach Merkel tragen sie die Verantwortung für den Aufstieg der AfD.
Noch ein Name könnte Europa und Deutschland verändern: Donald Trump.
Trump! Ich habe mich schon nach seiner ersten Wahl dem Weltuntergangs-Alarmismus verweigert. Meine Generation hat Dramatischeres erlebt: John F. Kennedy ermordet, sein Bruder Robert ebenfalls, Martin Luther King erschossen, die Kubakrise … Da erschüttert mich dieser Trump nicht so schnell.
Also geht Deutschland nicht unter, egal, wie die Wahl ausgeht?
(Lacht.) Nein, Deutschland wird nicht untergehen.