«Es ist eine politische und militärische Bankrotterklärung»
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Strategieexperte Mantovani:«Eine politische und militärische Bankrotterklärung»

Fragen und Antworten zur Rede des Kremlchefs
Putins Teilmobilmachung ist eine Pleite-Erklärung

Wladimir Putin will 300'000 weitere Soldaten für den Krieg gegen die Ukraine aufbieten. Was bedeutet diese Teilmobilmachung, wie gefährlich ist sie? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.
Publiziert: 21.09.2022 um 12:58 Uhr
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Aktualisiert: 21.09.2022 um 16:03 Uhr
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Putin plant Verstärkung: Aus dem ganzen Land sollen Soldaten und Waffen beigezogen werden.
Foto: keystone-sda.ch
Guido Felder

Nach der Ankündigung über eine mögliche Annexion weiterer ukrainischer Gebiete hat Kremlchef Wladimir Putin (69) eine Teilmobilmachung ausgerufen und andere Staaten vor Angriffen auf Russlands Staatsgebiet gewarnt. «Wenn die territoriale Integrität unseres Landes bedroht wird, werden wir zum Schutz Russlands und unseres Volkes unbedingt alle zur Verfügung stehenden Mittel nutzen. Das ist kein Bluff», sagte Putin am Mittwochmorgen in einer Fernsehansprache.

Was bedeutet diese Teilmobilmachung? Wie gross ist die Gefahr eines atomaren Schlags? Blick beantwortet die wichtigsten Fragen.

Wie muss man Putins Rede werten?

Sie ist eine Pleite-Erklärung. «Dass Putin nun eine Teilmobilmachung ausruft, bedeutet, dass er mit der sogenannten militärischen Spezialoperation in der Ukraine gescheitert ist und mit dem Rücken zur Wand steht», sagt Russland-Kenner Ulrich Schmid (56) von der Uni St. Gallen zu Blick. Es sei auch ein Zeichen dafür, dass er es nicht geschafft habe, mit den grossen Investitionen der vergangenen Jahre eine moderne Armee zu bilden. Schmid: «Die Rede zeigt, dass er seit Beginn des Krieges keinen Deut dazu gelernt hat und immer noch Verschwörungstheorien verbreitet.»

Was bedeutet eine Teilmobilmachung militärisch?

Putin hat bisher rund 200’000 Soldaten in den Krieg geschickt, von denen allerdings rund 80’000 gefallen oder verwundet sind. Putin will zusätzlich rund 300’000 Reservisten mit Kampferfahrung aktivieren. Die Duma hat am Mittwoch dazu Grundlagen geschaffen und gleichzeitig die Strafen für Deserteure und Dienstverweigerer verschärft. Bis die Soldaten allerdings im Kampfgebiet und ausgebildet sind, dürften Monate vergehen. ETH-Militärexperte Mauro Mantovani (59): «Ich glaube nicht, dass sie vor Ende Jahr in der Ukraine wirksam sein werden.»

Wie wirkt sich die Mobilmachung auf Russland selber aus?

«Mit diesem Instrument ist der Krieg mitten in der russischen Gesellschaft angekommen», sagt Schmid. Denn bisher hat die russische Bevölkerung vom Krieg gar nicht viel mitbekommen. Jetzt werden Söhne und Töchter rekrutiert für einen Krieg, von dem sich viele Russen fragen, warum es ihn überhaupt gibt. Schmid: «Die Stimmung in Russland könnte kippen, es könnte zu Protesten kommen», meint Schmid. Gerechnet wird wegen des Abzugs von Leuten von der Arbeit auch mit einer weiteren Verschlechterung der Wirtschaftslage.

Kann auch die Ukraine ihre Armee verstärken?

Die ukrainische Armee läuft jetzt schon auf dem Zahnfleisch, hat aber durch ihre Erfolge einen grossen Schub an Motivation erhalten. «Es hat sich gezeigt, dass der entscheidende Unterschied der beiden Armeen bei den Waffen liegt», sagt Ulrich Schmid. Die Ukraine wird vom Westen mit hochmodernen Präzisionswaffen ausgerüstet, mit denen sie grosse Erfolge erzielt.

Wie wird der Westen reagieren?

«Er wird die Ukraine wohl verstärkt mit Abwehrsystemen und Offensivwaffen unterstützen», meint Mantovani. Gleichzeitig werde sich der Westen für weitere Eskalationen wappnen, da Putin zeige, dass er den Krieg bis mindestens zu einem Teilerfolg fortsetzen wolle. Mantovani: «Wir müssen uns nun auf einen länger dauernden Krieg einstellen.»

Was bezweckt Putin mit den Referenden in den ukrainischen Gebieten?

Ab Freitag soll die Bevölkerung in Donezk, Luhansk, Cherson und Saporischschja darüber abstimmen, ob sie sich Russland anschliessen wollen. Es wird mit einer Zustimmung von 90 Prozent gerechnet. Mit der Annexion kann Putin einen Beschuss als Angriff auf sein Land bezeichnen und einen Einsatz von Atomwaffen legitimieren. Allerdings hat Putin bisher nie auf Angriffe der Ukrainer gegen die annektierte Krim reagiert.

Werden Ukrainer gegen Ukrainer kämpfen?

Das ist möglich. Mit der Annexion dieser Gebiete bekämen die Bewohner den russischen Pass, was sie zum Wehrdienst verpflichten würde. Mantovani rechnet damit, dass die Ukrainer in den nächsten Tagen diese Regionen, vor allem Wahllokale, verstärkt unter Beschuss nehmen werden, um eine Abstimmung zu verhindern.

Wie gross ist die Gefahr einer atomaren Eskalation?

Putin scheint sich mit der Annexion ukrainischer Gebiete die Grundlage für einen atomaren Einsatz zu schaffen. Zudem beschuldigte er in seiner Rede den Westen, Russland atomar zu bedrohen. «Er hat ein immenses Drohpotenzial geöffnet», sagt Ulrich Schmid. Putin ist aber bekannt dafür, dass er gerne mit Drohungen spielt und Angst schürt.

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