In Brasilien ist die Lage zurzeit katastrophal. Am vergangenen Mittwoch gab es mit 2349 Corona-Toten an einem einzigen Tag einen traurigen Rekord. Bisher sind 280’000 Menschen am Virus gestorben, täglich stecken sich im Schnitt 70’000 Menschen an.
Und es könnte noch schlimmer werden. In einem Interview mit dem «Spiegel» prophezeit der brasilianische Forscher Lucas Ferrante für Manaus und andere Städte im Juni eine dritte Welle mit der brasilianischen Mutation P1. Ferrante: «Diese dritte Welle hat das Potenzial, noch wesentlich tödlicher zu werden.»
In vielen Städten grassiere zurzeit noch die britische Variante. Er gehe aber davon aus, dass sich P1 durchsetzen werde. «Wir sehen jetzt schon Menschen, die gleichzeitig mit zwei Corona-Varianten infiziert sind, also mit der britischen und der brasilianischen», sagt Ferrante.
Angst vor Supervirus
Neue Varianten könnten nicht nur durch Mutation, sondern auch durch Kreuzung entstehen. «Ich befürchte, dass sich ein impfresistenter Supervirus entwickelt.» Dazu trage bei, dass bisher in Brasilien nur gerade rund fünf Prozent der Menschen geimpft seien. Zudem fehle es an der Durchsetzung von Massnahmen.
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Ferrante, der als Biologe am nationalen Institut für Amazonasforschung in Manaus arbeitet, hatte schon im August 2020 die verheerende zweite Welle in der Zwei-Millionen-Stadt vorausgesagt. Hier fühlte man sich sicher, weil man glaubte, dass sich 75 Prozent der Menschen schon in der ersten Wellen infiziert hätten. Tatsächlich hatten aber bis August nur 40 Prozent eine Infektion durchgemacht.
Zu Manaus sagt Forscher Ferrante: «Es sind traumhafte Bedingungen für das Virus.» Es könne sich wegen fehlenden Lockdowns völlig ungestört ausbreiten und verändern. Die Impfkampagne sei zweimal gestoppt worden, einmal, weil sich Reiche und Politiker vordrängelten, und nun, weil kein Impfstoff mehr zur Verfügung stehe.
Koordiniertes Impfen
Um die Pandemie zu stoppen, fordert Ferrante einen Ausbau der Impfstoff-Produktion und eine sinnvolle Verteilung der Dosen über die ganze Welt. Ferrante: «Nationale Strategien helfen für den Moment, aber sie bringen keine langfristigen Lösungen. Eine globale Pandemie kann nur auf globaler Ebene gestoppt werden.»
Lucas Ferrante macht Staatspräsident Jair Bolsonaro (65) für den Verlauf der Pandemie verantwortlich. Wegen seiner öffentlichen Kritik an der Politik werde er deshalb in Brasilien massiv bedroht, sagt Ferrante im «Spiegel».
Ferrante fordert Europa und die USA auf, Druck auf Brasilien auszuüben, sogar mit Wirtschaftssanktionen. Ferrante: «Brasilien giesst Öl ins Feuer der Pandemie. Wenn die internationale Gemeinschaft jetzt nichts unternimmt, dann sehe ich die Gefahr, dass all die Anstrengungen zur Bekämpfung der Pandemie umsonst gewesen sein werden.» (gf)