Im Krieg sterben vor allem Unschuldige. Beim Angriff der Hamas auf Israel am Wochenende kamen Hunderte Zivilisten ums Leben. Israel reagierte auf den terroristischen Überfall mit Luftschlägen im Gazastreifen, bei dem ebenfalls Hunderte Menschen starben. Dass der neu entflammte Nahost-Konflikt in der Region Konsequenzen haben wird, liegt auf der Hand. Doch wie sieht es mit Blick auf die weltweite Sicherheitslage aus? Blick skizziert sechs mögliche weltweite Konsequenzen der Hamas-Attacke.
Scheitern des Friedensprozesses im Nahen Osten
Im Zentrum der seit Jahrzehnten andauernden Nahostkrise stehen die Beziehungen zwischen Israel und seiner überwiegend jüdischen Bevölkerung einerseits und seinen Nachbarn – Ländern mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung – anderseits. In den vergangenen Jahren haben mehrere muslimische Länder begonnen, ihre Politik gegenüber Israel freundlicher zu gestalten.
Im Rahmen des Abraham-Abkommens im Jahr 2020 nahmen die Vereinigten Arabischen Emirate normalisierte bilaterale Beziehungen zu Israel auf. Zeitgleich unterzeichnete Bahrain einen Friedensvertrag mit den Israelis. Auch der Sudan und Marokko lockerten ihre strikte Sichtweise auf Israel. Es kam zu historischen, offiziellen Besuchen.
Saudi-Arabien galt als nächster muslimisch geprägter Staat, der einen Schritt auf Israel zugehen würde. Nun sabotierte die Hamas mit ihrer Attacke die Normalisierung der Beziehungen. Es ist nicht das erste Mal, dass die militanten Palästinenser neues Öl ins Feuer giessen.
Schon im Jahr 2000 störte die Hamas den israelisch-palästinensischen Friedensplan nach dem Gipfel von Camp David, als die Terroranschläge im Rahmen der zweiten Intifada alle Hoffnungen auf Normalisierung zunichtemachte und zum Tod unzähliger Zivilisten führte.
Israel, Saudi-Arabien und die USA näherten sich zuletzt einem Dreierabkommen, das dazu geführt hätte, dass Israel und Saudi-Arabien Teil einer Sicherheits-, Verteidigungs- und Wirtschaftspartnerschaft geworden wären. Erst vor zehn Tagen hatte der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman (38) gesagt, dass eine Einigung «jeden Tag» näher komme, während Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu (73) erklärte, er sei zuversichtlich, einen «historischen Frieden» zwischen seinem Land und Saudi-Arabien herzustellen.
Jetzt könnte der Friedensplan auseinanderfallen. Riad gab Israel in einer Erklärung am Sonntag die Mitschuld an der Eskalation des Konflikts.
Erstarken des Extremismus
Der Angriff der Hamas auf Israel schockierte den Westen, Länder wie Deutschland, Italien oder Frankreich sprachen Israel ihre volle Unterstützung aus. Gleichzeitig flammten in London, Sydney, New York oder Berlin grössere pro-palästinensische Proteste auf, die teils eskalierten. In Italien gab das Innenministerium bekannt, dass es eine Verschärfung der Sicherheitsmassnahmen im ganzen Land angeordnet habe, wie «Corriere della Sera» berichtete. Dies, nachdem die Anti-Defamation League (ADL) erklärt habe, sie habe nach dem Hamas-Terror eine Zunahme der Aufrufe zu Gewalt gegen Juden und Israelis beobachtet. Der Westen muss möglicherweise vor einem Erstarken des Extremismus und neuen Terroranschlägen von Islamisten und Ultrarechten auf der Hut sein.
Einfluss auf US- und Europa-Wahl
Die US-Regierung ist der wichtigste Verbündete Israels – und trägt den Konflikt auch schon im eigenen Land aus. Führende Republikaner warfen der demokratischen Regierung von US-Präsident Joe Biden (80) als auch einander die Schuld an der Gewalt vor. Bidens Aussenminister Anthony Blinken (61) warf den Republikaner-Spitzen vor, die Krise für ihre eigenen politischen Zwecke auszunutzen.
Auch im Europäischen Parlament wird eifrig über den Konflikt zwischen Israel und der Hamas diskutiert. Schon bei den Ukraine-Hilfen beginnt die Anti-Putin-Front allmählich zu bröckeln. Kommt Europa mit einem weiteren, längeren Konflikt klar? Die Europa-Wahl findet ebenso wie die US-Präsidentschaftswahl im kommenden Jahr statt.
Position der USA als «Weltpolizist» wird geschwächt
Ereignisse im Nahen Osten hatten schon immer weitreichende geopolitische Folgen und tendierten zu Dominoeffekten. Einige sind möglicherweise bereits sichtbar.
Die im Libanon ansässige Hisbollah hat bereits israelische Militärstellungen auf den Golanhöhen attackiert und erklärte, sie handle «in Solidarität» mit dem palästinensischen Volk. Zeitgleich ereignete sich im benachbarten Ägypten ein tödlicher Angriff auf israelische Bürger. Ein ägyptischer Polizist erschoss Touristen.
Die Gefechte in Israel erinnern die Welt zudem schmerzlich daran, dass die USA nicht mehr der Garant für weltweite Sicherheit sind. Die Zeiten als «Weltpolizist» sind vorbei.
Der Abzug aus dem Irak und Afghanistan wurde von der Hamas und anderen Mächten als Zeichen der Schwäche gewertet. Die Terrororganisation konnte bei der Vorbereitung der Attacke offenbar auf Unterstützung aus dem Iran zählen. Russland und China beobachten die Situation zudem genau. Wo der Westen und die USA scheitern, sind sie die Ersten, die ihre Position stärken.
Der Fokus des Westens auf die Ukraine schwindet
Bei der Nachricht des Hamas-Angriffs in Israel dürfte Russlands Präsident Wladimir Putin (71) freudig in die Hände geklatscht haben. Putin kommt alles, was den Westen vom Angriffskrieg ablenkt oder die Verbündeten der Ukraine an der Unterstützung des überfallenen Landes hindert, gelegen.
Auch Israel ist ein Verbündeter des Westens, der nicht im Stich gelassen werden darf. In den vergangenen Tagen richtete sich die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit weitestgehend auf den Nahen Osten. Der Leidtragende könnte am Ende die Ukraine sein.
Auswirkungen auf die Weltwirtschaft
Grosse bewaffnete Konflikte wirken sich auch immer auf die Börsen aus. Die Ölpreise stiegen sprunghaft an, während die Aktienmärkte und die israelische Währung Anfang der Woche fielen, als die Anleger auf die neuerliche Eskalation zwischen Palästinensern und Israel reagierten. Eine angespannte Lage im Nahen Osten sorgt für angespannte Investoren. Dass die israelische Regierung vor einem langen und schwierigen Krieg warnt, dürfte die Stimmung an den Börsen nicht verbessern. Es besteht die Sorge, dass der Konflikt auf weitere Regionen überspringen könnte und dass anhaltende Spannungen im Nahen Osten die fragile globale Wirtschaftserholung schädigen könnten.