Experte rechnet mit 100'000 toten Soldaten
Darum könnte der Winter für Putin zum Debakel werden

In der Ukraine steht der erste Kriegswinter vor der Tür. Nun kämpfen die Soldaten nicht nur gegen den Feind, sondern auch gegen die Kälte. Experten sehen die Verteidiger dabei im Vorteil.
Publiziert: 30.11.2022 um 17:54 Uhr
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Aktualisiert: 01.12.2022 um 07:31 Uhr
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Zerstörte russische Panzer werden in der ukrainischen Hauptstadt Kiew zur Schau gestellt.
Foto: Getty Images

Je tiefer die Temperaturen, desto wichtiger wird die Ausrüstung für die Soldaten an der Front. Es braucht von allem mehr: mehr Kleidung, mehr Verpflegung, mehr Ersatzteile, mehr Treibstoff. In den vergangenen Wochen gab es wiederholt Berichte, dass die russische Armee Probleme hat, ihre Truppen mit dem Nötigsten zu versorgen. Russische Soldaten mussten sich angeblich sogar auf eigene Kosten mit Helmen, schusssicheren Westen und Verbandsmaterial eindecken. Die ukrainischen Truppen sind dagegen vergleichsweise gut ausgerüstet, wie es heisst.

Wie die Geschichte zeigt, ist der Verteidiger im Winter strategisch im Vorteil: Der Angriff von Hitlers Wehrmacht auf Russland zum Beispiel scheiterte im Zweiten Weltkrieg nicht zuletzt aufgrund der Kälte. Experten zufolge stehen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) und seinen Truppen daher schwierige Monate bevor. Militär- und Ukraine-Kenner Thomas C. Theiner etwa rechnet mit 100'000 toten russischen Soldaten, wie er auf Twitter schreibt.

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Schlechte Logistik, gefrorene Böden

Theiner nennt sieben Gründe, weshalb Putins Truppen im Winter schlechte Karten haben werden:

  • Mangel an Winterkleidung: Die russische Regierung versorge ihre Soldaten nicht mit ausreichend Ausrüstung gegen die bevorstehende Kälte. Im Internet kursieren Videos, in denen zum Kriegsdienst einberufene Männer ihre Ausrüstung zeigen. Sie sollen demnach mit Paintball-Masken und ungefütterten Gummistiefeln in den Krieg ziehen. Die mangelhafte Ausrüstung wird gemäss Theiner für viele Soldaten den Tod durch Unterkühlung bedeuten.
  • Schlechte Logistik: Auch dieser Punkt wird dazu führen, dass russische Soldaten erfrieren. Denn an der Front fehlen warme Lebensmittel, Tee, Heizmaterial, Schlafsäcke.
  • Keine Unterkünfte und Schützengräben: Nachts können die Temperaturen in der Ukraine bis tief unter die Nullgradgrenze sinken. Die russischen Soldaten müssen teilweise im Freien übernachten. Der Temperatur-Tiefpunkt des Winters wird erst im Januar erreicht.
  • Gefrorener Boden: Sinken die Temperaturen unter den Gefrierpunkt, können keine neuen Schützengräben und Unterschlüpfe mehr ausgehoben werden. Die russischen Truppen müssen dann auf dem kalten Boden übernachten. Die Folge auch hier: Viele dürften an Unterkühlung sterben.
  • Feuer sind riskant: Wenn die russischen Soldaten ein Feuer entzünden, um gegen die Kälte anzukämpfen, liefern sie sich der ukrainischen Armee ans Messer. Der Rauch könnte ihren Standort verraten. Drohnenangriffe und Artilleriebeschuss wären die Folge.
  • Artillerie ist bei gefrorenem Boden effektiver: Geschosse graben sich nicht in die Erde, bevor sie explodieren. Deshalb fliegen mehr Granatsplitter durch die Luft; Artilleriebeschuss ist daher potenziell tödlicher.
  • Kein Schutz vor Artilleriebeschuss: Der gefrorene Boden verhindert das Ausheben von Schützengräben.

«Putin weiss das und will den Krieg unbedingt bis zum Frühjahr unterbrechen», schreibt Theiner weiter. Der Winter werde der Ukraine helfen, grosse Landstriche zu befreien.

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«Rasputiza» erschwert Vorwärtskommen

Wie die «NZZ» schreibt, könnte das Phänomen der sogenannten «Rasputiza» dem ukrainischen Vormarsch allerdings in die Quere kommen, jedenfalls im Süden in der Region Cherson, wo die Temperaturen vergleichsweise mild sind. «Rasputiza» lässt sich mit «Schlammzeit» übersetzen. Es handelt sich dabei um eine Phase, während der die Böden aufgeweicht sind. Ein Vorwärtskommen mit Panzern und schwerem Militärgerät wird deutlich erschwert.

Carlo Masala, Politikwissenschafter der Universität der Bundeswehr in München, zur «NZZ»: «Die Kälte ist ein kleineres Problem als der Schlamm.» Militärfahrzeuge müssen während der Schlammzeit asphaltierte Wege nutzen. Auf den Strassen sind die Fahrzeuge aber besser sichtbar, ihre Routen sind berechenbarer und dadurch ein leichteres Ziel von feindlichen Angriffen. Dieser Umstand dürfte es den russischen Truppen erleichtern, sich in den besetzten Gebieten einzugraben.

Meteorologen zufolge wird in der Tendenz ein eher wärmerer Winter erwartet. Die entsprechenden Modellberechnungen sind allerdings mit ziemlich grossen Unsicherheiten behaftet. (noo)

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