Er war lange Jahre einer der engsten Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) und kennt sich mit der russischen Aussen- und Verteidigungspolitik aus wie kaum ein Zweiter: Sergej Karaganow (69). Bis heute ist er dem Kreml und seinen Politikern, unter anderem auch Sergei Lawrow (72), sehr nahe und wird weiterhin mit wirksamen Ideen der russischen Aussenpolitik in Verbindung gebracht.
Viele Ideen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg werden ihm zugeschrieben. Schon vor dem Krieg gab er Blick ein Interview. Nun macht der russische Politikwissenschaftler gegenüber «New Statesman» besorgniserregende Aussagen über den russischen Angriffskrieg und mögliche Folgen des Konflikts.
Putins Ex-Berater zweifelt Fortbestehen der Ukraine an
Auch Karaganow nennt die «Denazifizierung» der Ukraine als wichtigstes Ziel der russischen Regierung, was wenig überraschend ist. Der angeblich wachsende Ultra-Nationalismus im Land sei für viele Mitglieder der russischen Regierung eine grosse Sorge. Der ehemalige Berater wiederholt hier letztlich also genau den Vorwand von Wladimir Putin, um den Krieg zu rechtfertigen.
Karaganow betont, dass die Demilitarisierung der Ukraine eines der wichtigsten Ziele Russlands sei, dies aber wohl nicht erreicht werden wird. Seine letzte Hoffnung: Friedensverträge mit den USA – sie sollen weitere Eskalationen in der Ukraine vermeiden.
Gleichzeitig malt er ein düsteres Bild, was die Zukunft der Ukraine angeht. Er sei sich nicht sicher, ob das Land weiter fortbestehen werde. Eine komplette Einnahme durch Russland sieht er aber nicht als einzige Lösung.
Karaganow geht davon aus, dass die Ukraine aufgeteilt werden könnte. Der ukrainische Militärgeheimdienst tönte bereits vor Wochen die Angst vor einem ähnlichen Szenario nach dem Vorbild von Nord- und Südkorea an. Diese Teilung werde laut Karaganow «auf dem einen oder anderen Weg» durchgesetzt werden.
Karaganow schliesst Gebrauch von Atomwaffen nicht aus
Angesprochen auf das weitere Eskalationspotenzial des Kriegs, bestätigt Karaganow die Befürchtungen des Westens: Da es zurzeit so aussehe, als würde Russland den Krieg verlieren, gebe es «eine bestimmte Wahrscheinlichkeit» für weitere Eskalationen in der Ukraine. Auch den Gebrauch von Atomwaffen schliesst der Ex-Kremlberater nicht gänzlich aus.
Die Gefechte in der Ukraine seien gewissermassen auch ein Krieg zwischen dem Westen und dem «Rest der Welt», mit Russland als «Speerspitze», um eine «künftige Weltordnung», so Karaganow.
Gleichzeitig betont er, dass man die Expansion der Nato in Ost-Europa mit allen Mitteln unterbinden wolle. Menschen wie er würden seit 25 Jahren davor warnen, dass ein Überschreiten «bestimmter roter Linien» durch die Nato einen Krieg zur Folge haben würde – insbesondere in der Ukraine. Ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine sei in den nächsten drei oder vier Jahren unausweichlich gewesen, da man sonst Aggressionen seitens der Ukrainer auf russischem Boden befürchtete. (chs)