Auf einen Blick
Was muss wohl passieren, dass Europa für einmal zusammensteht und mit gemeinsamer Stimme für sich und seine Werte einsteht? Klar ist: Wladimir Putins (72) brutaler Angriff auf ein europäisches Land, das anhaltende Morden und Terrorisieren der unschuldigen ukrainischen Bevölkerung, reicht für den europäischen Schulterschluss offenbar nicht aus.
Bei ihrem Gipfeltreffen in Brüssel konnten sich die Regierungschefs nicht auf eine gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine einigen. Das ist verheerend – nicht nur für die Ukraine.
Immerhin: Eine Lehre scheint die Europäische Union aus Amerikas Abkehr von der Alten Welt gezogen haben. Man will punkto Verteidigung künftig auf eigenen Beinen stehen und sich nicht länger auf Kosten der Amerikaner ein friedfertiges Vor-Sich-Hinschlummern leisten.
800 Milliarden sollen in die Verteidigung fliessen
Um die dazu nötigen massiven Investitionen in neue Waffensysteme und den Ausbau bestehender Verteidigungsstrukturen zu ermöglichen, hat sich die EU darauf geeinigt, Hunderte Milliarden freizuschaufeln. Den Vorschlag von EU-Chefin Ursula von der Leyen (66), insgesamt 800 Milliarden Euro in die europäische Wehrhaftigkeit zu buttern, wurde in der Abschlusserklärung «begrüsst» und «anerkannt».
Mit «hoher Dringlichkeit» will man einen neuen 150-Milliarden-Topf herrichten, aus dem sich ärmere EU-Länder für nötige Aufrüstungsprojekte Kredite holen können. Zudem will man die Strafen für zu hohe Staatsschulden aussetzen, sofern die Schulden wegen Verteidigungsinvestitionen entstehen. Durch diese Aussetzung der sogenannten Defizitverfahren sollen innerhalb der Union weitere rund 650 Milliarden Euro für die Verteidigung bereitgestellt werden.
Damit macht sich die EU, immerhin die zweitgrösste Wirtschaftsmacht hinter den USA, zur respektablen Trutzburg der Wehrhaften – mindestens auf dem Papier. Umgesetzt ist mit dem Beschluss vom Donnerstag natürlich nichts.
Umso herber ist der Dämpfer, den Ungarns Präsident Viktor Orban (61) den vermeintlich wehrhaften Europäern zusetzte. Er verweigerte seine Unterschrift unter die zweite Teil-Erklärung, mit der sich die EU zu einer klaren, anhaltenden Aufrüstung der Ukraine in ihrem Überlebenskampf gegen die russischen Invasoren hätte bekennen wollen.
Fico liess sich kaufen, Orban nicht
Alle anderen 26 Staatschefs waren dafür. Sogar der Russland-freundliche slowakische Regierungschef Robert Fico (61). Er setzte durch, dass Russland wieder Gas durch ukrainische Pipelines in die Slowakei pumpen darf. Ein Beschluss, den der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (47) nur schwer schlucken wird. Selenski, als Gast zu Beginn des Gipfels ebenfalls in Brüssel, machte klar, dass Russland «keine weiteren Milliarden mit unserem Blut verdienen» dürfe.
Orban geht einmal mehr als Gewinner vom Platz. Die EU, die nur dann beschlussfähig ist, wenn alle 27 Mitgliedstaaten ihre Zustimmung geben, hat er erneut schachmatt gesetzt. Gleichzeitig dürfte gerade Ungarn von den in Brüssel beschlossenen Zuschüssen an die nationalen Verteidigungsbudgets profitieren.
Der Ukraine bleibt die Erkenntnis, dass Europas Wille zur Unterstützung zwar da ist. Aber wo ein Wille ist, ist nicht immer ein Weg – mindestens nicht, solange das Einstimmigkeits-Diktat von Putin-Freunden wie Viktor Orban immer und immer wieder zu seinen egoistischen Gunsten ausgenutzt werden kann.
Europa hätte die Chance für ein klares Statement nutzen müssen. Vielleicht war es die Letzte, bevor die angebrochene Zeitenwende den Alten Kontinent endgültig zum musealen Spielball der Grossmächte herabwürdigt. Auf eines kommt es an in dieser Zeit: kaltblütige Entschlossenheit. Trump und Putin haben sie. Das nette Europa hat sie nicht.