44 Jahre lang sass Shahjahan Bhuiyan (74) hinter Gittern. Bei seinen Mitgefangenen und der Leitung des Zentralgefängnisses von Kashimpur nördlich von Dhaka genoss er hohes Ansehen. Doch am 18. Juni dieses Jahres erlangte der Bangladescher seine Freiheit zurück – und verlor gleichzeitig seinen Job als Jollad, als Henker.
Bhuiyan soll etwa 60 Hinrichtungen beigewohnt haben. Denn Bangladesch ist der einzige Staat, in dem Häftlinge bei der Vollstreckung von Todesurteilen assistieren dürfen. Das berichtet der «Spiegel». Jede vollstreckte Hinrichtung wurde mit einer Extra-Mahlzeit Pilaf, einem Reisgericht mit Rindfleisch und Huhn, belohnt. Ausserdem gab es einige Monate Straferlass.
Ein Henker mit Macht
«Ich habe ihn nicht mit eigenen Händen umgebracht», sagt der 74-Jährige zu seiner eigenen Verurteilung. «Aber ich war dort. Ein Fahrer ist in den Schusswechsel mit der Polizei geraten.» Es sei ein Unfall gewesen – doch Ende der Siebzigerjahre wurde er wegen Raubes und Mordes verurteilt. Als er ins Gefängnis kam, war Bhuiyan noch Maoist, Mitglied der «Proletarischen Partei Ostbengalens». Während seiner Haft konvertierte er zum Islam.
Zu seinem ungewöhnlichen Job im Gefängnis fand er im Jahr 1989. Noch in der Untersuchungshaft sah er, wie der damalige Scharfrichter von mehreren Mithäftlingen massiert wurde. «Ich fragte, wer das sei. Sie sagten, das ist unser Jollad. Wow, sagte ich mir. Ein Henker hat so viel Macht», erzählt Bhuiyan dem «Spiegel».
So kam es, dass der Häftling einige Jahre später selbst zum «Chief Executioner» ernannt wurde. Seine Aufgabe war es, mit Sandsäcken die Festigkeit des Stricks und die Funktion der Falltür zu überprüfen. Die Todesstrafe kann in Bangladesch wegen Mordes, Terrorismus, Entführung, Meuterei und Vergewaltigung verhängt werden. Im vergangenen Jahr wurden vier Hinrichtungen vollstreckt.
«Es ist keine befriedigende Arbeit»
Für Bhuiyan war es keine leichte Aufgabe. «Egal, wie schlecht ein Mensch ist. Wenn er an der Schwelle zum Tod steht, fühlt es sich schlecht an», schildert er. «Mir kamen keine Tränen, aber es ist ein schlechtes Gefühl. Ich habe es als Job gesehen. Wenn ich es nicht tue, macht’s ein anderer.»
Dennoch scheint er gute Arbeit geleistet zu haben: Zeitweise wurde er auch in anderen Distrikten Bangladeschs eingesetzt. «Es ist keine befriedigende Arbeit. Das kann es nicht sein, Leute aufzuhängen», sagt Bhuiyan. Als freier Mann würde er das nicht mehr tun – «selbst wenn mir jemand zehn Millionen geben würde».
Sein einziges Mitbringsel aus dem Gefängnis: ein Stück Galgenstrick aus Manilahanf. Doch trotz seines Glücksbringers könne er nachts nur schlecht schlafen – im Gefängnis war es nie so dunkel und einsam wie in Freiheit. (gs)