Kann Jewgeni Prigoschin (61) seine Träume von Macht und Einfluss in Russland künftig begraben? Laut dem Institute for the Study of War (ISW) will Kremlchef Wladimir Putin (70) den Anführer der Söldnergruppe Wagner entmachten.
Der von Prigoschin vielfach gelobte Sergei Surowikin (56) war schon am 11. Januar vom Kommandanten der russischen Armee zum Stellvertreter des neuen Militärchefs Waleri Gerassimow (67) heruntergestuft worden. Wenige Tage später kündigte das Verteidigungsministerium weitreichende Reformen für Ausbau und Umstrukturierung der russischen Streitkräfte an. Im Zuge deren geht es offenbar auch Prigoschin an den Kragen.
Sein Versprechen an den Kreml, Bachmut für Russland zu erobern, dürfte für Prigoschin jetzt zum Problem werden. Denn: Die völlig zerstörte Stadt in der Ukraine ist nach monatelangen Kämpfen immer noch nicht in russischer Hand. In Moskau hat man offenbar keine Geduld mehr mit den Wagner-Söldnern, jetzt soll das reguläre Militär ran.
Verteidigungsministerium erwähnt Wagner nur am Rande
Hinzu kommt: Der ukrainische Geheimdienst berichtete zuletzt von einem Deal zwischen Surowikin und Prigoschin, der es den Wagner-Truppen ermöglichte, an schwere Waffen zu kommen. Das scheint im Kreml und bei Verteidigungsminister Sergei Schoigu (67) gar nicht gut angekommen zu sein.
Zwar tragen die Wagner-Söldner weiter zu den russischen Kriegsanstrengungen in der Ukraine bei, ihr Stellenwert nimmt aber im Zuge der Reformen deutlich ab. Das wird auch deutlich daran, dass Putin nach der Eroberung der Stadt Soledar, die unweit von Bachmut gelegen ist, mit keinem Wort die Wagner-Kämpfer erwähnte.
Erst auf Druck Prigoschins erwähnte das Verteidigungsministerium die Söldner nachträglich in einer Meldung. Laut Wagner-Darstellung ging die Eroberung Soledars massgeblich auf das Konto der Söldner. Kremlsprecher Dmitri Peskow (55) warf Prigoschin daraufhin indirekt vor, den Konflikt zwischen Wagner und dem russischen Verteidigungsminister öffentlich angeheizt zu haben. Im Kreml ist man der «anmassenden» Rhetorik des Mannes, der als «Putins Koch» bekannt wurde, offenbar überdrüssig geworden.
Prigoschin hatte in der Vergangenheit immer wieder versucht, es so darzustellen, als sei die russische Armee von den Wagner-Streitkräften abhängig. Die Wahrheit sieht laut ISW anders aus: Ohne die Unterstützung durch die russische Armee bei Logistik und Waffen wäre Wagner chancenlos. Die Militärexperten zeichnen das Bild einer unorganisierten Truppe. Ausserdem fällt es Prigoschin offenbar zunehmend schwer, neue Kämpfer zu rekrutieren – und das, obwohl er sich bereits kräftig in Russlands Gefängnissen bedient.
Prigoschins Hoffnungen auf mehr Einfluss sind dahin
Gleichzeitig berichten der ukrainische Geheimdienst und ausgewählte Kreml-Offizielle von einer möglichen zweiten Mobilisierungswelle in Russland. Hinzu kommt laut ISW, dass die russische Armee in den vergangenen Wochen an ihrer Professionalität gearbeitet und ihre Befehlsketten geprüft habe.
Sollte der akute Truppenmangel mithilfe von weiteren Rekruten eingedämmt werden, würde Wagner auch hier an Stellenwert verlieren. Die Söldner waren auch in der Ukraine zum Einsatz gekommen, weil die Invasion sich für die russische Armee als deutlich verlustreicher entpuppte als im Vorfeld angenommen. Das britische Verteidigungsministerium schätzt, dass Wagner bis zu 50'000 Kämpfer in der Ukraine einsetzt.
Das knallharte Fazit des ISW: Prigoschins Hoffnungen, Kommandeur Gerassimow und Verteidigungsminister Sergei Schoigu (67) die Vorherrschaft in den russischen Militärangelegenheiten entreissen zu können, sind dahin. Die Illusion des ehrgeizigen Geschäftsmannes ist zerplatzt wie eine Seifenblase.
Prigoschin erreicht die Grenzen seiner Macht
«Prigoschins jüngster offensichtlicher Sturz in Ungnade und Einfluss spiegelt wahrscheinlich die tatsächlichen Grenzen seiner Macht wider», heisst es in dem Briefing der US-Denkfabrik. Noch immer ist die Truppe des einstigen Putin-Kumpels nicht offiziell anerkannt in Russland. Das russische Strafrecht verbietet den Betrieb von Söldnerverbänden.
All das zeigt aber auch: Bei den russischen Streitkräften in der Ukraine brodelt es. Der neue Kommandeur Waleri Gerassimow ist bei den Wagner-Söldnern alles andere als beliebt. Prigoschin soll die Detailversessenheit Gerassimows nicht passen, seine Kämpfer beleidigten den Militär-Chef Ende letzten Jahres wüst in einem Video, wie The Daily Beast berichtete.
Noch gibt sich Prigoschin nicht geschlagen: Er hat nun eine Reihe von Kampagnen gestartet, in denen er sich selbst als opferbereiten Helden Russlands in einem Kreuzzug gegen kleinliche und korrupte russische Behörden darzustellen versucht. Seine Gruppe Wagner möchte er laut einem Bericht der «Bild» als unabhängige Armee inszenieren.
Das ISW geht davon aus, dass Prigoschin weiter lautstark Kritik üben wird, diese aber durch die Abkanzlung durch den Kreml an Gewicht verliert. Ob es weiter rumort, hängt auch davon ab, wie erfolgreich Gerassimow und die russische Armee in den kommenden Monaten sein werden.