Zwischen den USA und China herrscht dicke Luft. Der chinesische Spionage-Ballon hat das bereits frostige Verhältnis der beiden Supermächte noch weiter getrübt. Angefangen hatte alles am Donnerstag vergangener Woche, als in den sozialen Medien plötzlich Bilder von einem Ballon über dem US-Bundesstaat Montana auftauchten.
Das Flugobjekt kreiste unweit des dort ansässigen Atomwaffenstützpunkts. Die Reaktion des Pentagons liess nicht lange auf sich warten. Der Ballon komme aus China, hiess es. Sein Zweck: Spionage.
Xis Image wäre ruiniert
Für Alexander Görlach (46), China-Experte und Professor für Ethik und Theologie, stehen an dieser Stelle viele Fragezeichen. Dass China die USA so kurz vor dem geplanten und schliesslich abgesagten Besuch des US-Aussenministers Anthony Blinken (60) in Peking brüskieren wollte, macht für ihn nur wenig Sinn. Zumal Präsident Xi im vergangenen November persönlich das Treffen am G20-Gipfel in Indonesien eingefädelt hatte.
Die Gespräche in Peking sollten eigentlich der dringend benötigten Entspannung zwischen den beiden Ländern dienen. Nun hat der Spionage-Ballon den schwelenden Konflikt sogar angefacht, mit ungewissem Ausgang. Görlach geht sogar so weit zu behaupten, dass Chinas Machthaber Xi über die Ballon-Aktion im Dunkeln gelassen wurde. «Die insgesamt verhaltene Reaktion Pekings auf den Abschuss legt den Schluss nahe, dass Xi von dem Spionage-Ballon nichts gewusst hat», schreibt er in einem Bericht für «Focus».
«Das Eingeständnis eines solchen menschlichen Versagens könnte zwar die Wogen glätten, würde aber gleichzeitig einen Kontrollverlust sichtbar machen, der Xi nicht zuträglich wäre», so Görlach. Sollte Xi also tatsächlich nichts von der Aktion gewusst haben, würde sein Image als mächtiger und allwissender Führer, sowohl im In- als auch im Ausland massiven Schaden nehmen.
China reagiert zuerst gelassen, dann empört
Auf die Spionagevorwürfe seitens der USA reagierte China vorerst noch gelassen. Für eine offizielle Erklärung liess man sich Zeit. Zwar räumte eine Sprecherin des chinesischen Aussenministeriums ein, dass es sich beim Ballon um ein chinesisches Exemplar handle. Allerdings sei dieser nicht zu Spionagezwecke eingesetzt worden, sondern lediglich um das Wetter auszukundschaften. Ein Wetterballon also. Weil ihn ein starker Westwind von seiner ursprünglich geplanten Flugbahn abgebracht hatte, sei er schliesslich versehentlich im US-Luftraum gelandet.
Wenig erstaunlich, sorgte diese Erklärung in den USA für einiges Stirnrunzeln. Immerhin ist nicht erst seit gestern bekannt, dass China seinen rasanten Aufstieg auch dank massiver Spionage im Ausland erreicht hat. Für US-Präsident Biden (80) war der Fall klar: Der Ballon muss runter.
Am vergangenen Samstag holten Navy-Piloten das Flugobjekt schliesslich vom Himmel. Das chinesische Aussenministerium zeigte sich über den Abschuss empört und bezeichnete ihn als eine «offensichtliche Überreaktion» und ein «schwerwiegender Verstoss gegen die internationale Praxis».
Auch wenn der Ballon mittlerweile ausser Gefecht ist, so wird immer noch über die Beweggründe für das Entsenden des Flugobjekts spekuliert. War es tatsächlich ein abgetriebener Wetterballon, wie der chinesische Machtapparat um Präsident Xi Jinping (69) behauptet oder war es doch eine ganz bewusst kalkulierte Provokation, wie es aus dem Weissen Haus heisst?
«Alles was ihr könnt, können wir besser»
«Die Chinesen mussten damit rechnen, entdeckt zu werden, denn der amerikanische Luftraum wird genau überwacht», sagt John Blaxland (60), Professor für internationale Sicherheit und nachrichtendienstliche Studien, gegenüber dem «Guardian». Für ihn kommen zwei mögliche Absichten der chinesischen Regierung infrage. «Sie wollten die USA wohl in Verlegenheit bringen.» Als zweiten Grund sieht Blaxland das zunehmende Selbstvertrauen Chinas gegenüber den USA.
China habe den USA wohl zeigen wollen, dass sie mit ihrer Technologie mindestens schritthalten können. Im Sinne von: «Alles, was ihr könnt, können wir besser.» Blaxland betont denn auch: «Chinesische Sicherheitsbehörden sind Meister im Nachahmen.»
Xi hat Zenit seiner Macht bereits hinter sich
Für Görlach gibt China mit seinem Spionage-Ballon ein schlechtes Bild ab. Gründe dafür sieht er vor allem bei Xi Jinping. Dieser habe den Zenit seiner Macht bereits hinter sich. Zumal er durch die verschiedenen Krisen, die er ausgelöst hat, an vorderster Front natürlich seine rigorose Zero-Covid-Politik, geschwächt sei. Inzwischen sei er nur noch von Jasagern umgeben, die um jeden Preis in seiner Gunst stehen wollen. Früher oder später stürzt eine solche Situation jeden Machthaber ins Verderben. Denn: Jeder macht Fehler. Auch Xi Jinping.
Am Ende markiert dieser Zwischenfall einen Wendepunkt im Konflikt der beiden Supermächte. Diese hatten bislang alles vermieden, was in eine direkte militärische Konfrontation münden könnte. Die Grenzüberschreitung Pekings wird nun die Fronten auf absehbare Zeit weiter verhärten. Dass der Besuch Blinkens zeitnah nachgeholt werden wird, erscheint daher illusorisch. (ced)