Der Geschäftsmotor bei der Ems-Chemie läuft – wenn auch immer geräuschloser. Der Konzern mit Sitz in Domat/Ems GR verdient immer mehr Geld mit der Herstellung von Komponenten und Spezialchemikalien für Elektroautos. Bei anderen Autozulieferern hingegen stottert der Motor. Die Gewinnmargen rauschen in den Keller. Vor allem in Europa. Magdalena Martullo-Blocher (53) sieht schwarz für den europäischen Industriestandort. «Die europäische Industrie hat in vielen Belangen komplett den Anschluss verloren», sagt die Geschäftsführerin von Ems-Chemie bei der Präsentation der Geschäftszahlen am Freitag zu Blick.
Die Produktion in der deutschen Chemiebranche ist im Dezember um elf Prozent abgesackt. Firmen in ganz Europa lagern ihre Produktion aus. Die Zahlen aus der Automobilbranche zeigen dies deutlich. Die europäische Autoproduktion liegt nach wie vor 25 Prozent unter dem Niveau von 2019 – Tendenz weiter sinkend. «Die Firmen sind wegen der hohen Energiepreise verunsichert und konzentrieren sich auf Amerika und Asien», so Martullo-Blocher. Dort sind die Energiepreise noch gleich tief wie vor dem Einmarsch der Russen in die Ukraine.
Europa ächzt unter hohen Energiepreisen
In Europa hingegen liegt der Energiepreis noch immer um das 2,5-Fache über dem Niveau vor Kriegsausbruch. «Die Energiepreise und die Energiesicherheit sind für die Firmen ein wichtiger Punkt für Investitionsentscheidungen», so die Geschäftsführerin.
Dass ihr Konzern von den hohen Preisen deutlich weniger betroffen ist, hat mehrere Gründe. Ems-Chemie benötigt für die Produktion im Hauptwerk in Domat/Ems kein Gas mehr. Eigene Wasserkraftwerke versorgen den Standort mit 1000 Angestellten mit Strom. Zudem konnte Ems-Chemie Preiserhöhungen von 280 Millionen Franken beim Materialeinkauf an die Kunden weitergeben. Vielen Konkurrenten gelingt dies deutlich schlechter.
Droht der Schweiz der Stromkollaps?
Martullo-Blocher führt die europäische Industriemisere auf die verfehlte Energiepolitik in Europa zurück. Doch auch an der Schweizer Energiestrategie lässt sie kein gutes Haar. Steige die Schweiz wie geplant aus der fossilen Energie aus, würden 60 Prozent der Energieversorgung wegfallen, sagt sie. Der forcierte Umstieg auf Elektroautos und Wärmepumpen würde das Problem zusätzlich verschärfen. «Damit wir das auffangen können, müssten wir bis 2050 18 Kernkraftwerke bauen», sagt Martullo-Blocher.
Die SVP-Nationalrätin hofft auf den neuen SVP-Bundesrat Albert Rösti (55), der für das Energiedossier zuständig ist. Den grossen Ausbauplänen des Bundes bei Solar, Wasser und auch Wind traut sie offenbar wenig.
China hat Europa den Rang abgelaufen
Automobilzulieferer wie Bosch, Continental oder Hella ergreifen die Flucht und bauen ihre Produktionsstätten in China aus. Auch Ems-Chemie beschäftigt dort in vier Werken 460 Angestellte, rund 17 Prozent der Belegschaft. «Wir produzieren in China vorwiegend für chinesische Automobilkonzerne», sagt Martullo-Blocher.
China habe Europa im Autosektor den Rang abgelaufen, ist die Ems-Chefin überzeugt. Die chinesische Bevölkerung ist der weltweit grösste Auto-Markt. Das Land hat den Ausbau der eigenen Automobilbranche stark vorangetrieben – und setzt dabei voll auf Elektroautos. «China ist bei E-Autos mittlerweile technologisch führend», so Martullo-Blocher.
«Wir sind überall dort, wo es ein Geschäft gibt»
2022 machte Ems-Chemie einen Umsatz von 2,44 Milliarden Franken. Fast zwei Drittel davon entfielen auf den Autosektor. Deutschland ist derzeit noch der wichtigste Kunde. Doch die Automobilbranche im Nachbarland strauchelt. Für Ems-Chemie sei das jedoch kein Problem. «Wir sind überall dort, wo es ein Geschäft gibt», sagt Martullo-Blocher. China ist für den Konzern mittlerweile der zweitgrösste Markt.
Doch Europa will die Industrie nicht kampflos dahinserbeln lassen. Die EU kündigte Ende Januar an, 170 Milliarden Euro in die Entwicklung von grünen Technologien zu stecken. In den EU-Töpfen lagern insgesamt 1000 Milliarden Euro für den Umbau dreckiger Industriesektoren. Auch für Martullo-Blocher ein Hoffnungsschimmer: Fliesse das Geld in die richtigen Projekte, werde das die Wirtschaft stützen, «auch in der Schweiz».
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