Magdalena Martullo-Blocher (52) muss sich zumindest beim Blick auf die Halbjahreszahlen ihrer Firma Ems-Chemie keine Sorgen machen. Trotz Ukraine-Krieg und Lieferkettenproblemen stieg der Umsatz im Vorjahresvergleich um zehn Prozent auf 1,28 Milliarden Franken. Die Ems-Chefin fuhr einen Gewinn von 324 Millionen Franken ein.
Die Unternehmerin ist aus einem anderen Grund besorgt. «Es ist gut möglich, dass die Schweiz im kommenden Winter zu wenig Gas und womöglich auch zu wenig Strom hat», sagt sie am Hauptsitz in Domat/Ems GR zu Blick.
Martullo-Blocher schlägt an der Pressekonferenz Alarm. Die Schweiz sei bei Gas und Strom auf die EU angewiesen. Können die Gasspeicher in der EU nicht aufgefüllt werden, droht eine Mangellage. Und das scheint immer realistischer. Russland liefert inzwischen nur noch ein Drittel der ursprünglichen Gasmengen nach Europa. «Fehlt in den EU-Ländern Gas, ist es fraglich, ob sie sich noch an ihre Lieferverträge mit der Schweiz halten werden», zweifelt Martullo-Blocher.
«Strommangel wäre das grössere Problem»
Auf die Ems-Chemie hätte das zwar keine direkten Auswirkungen. «Die europäischen Werke produzieren völlig ohne Gas, in der Schweiz ersetzten wir Gas durch Biomasse aus Restholz», betont sie. Und viele andere Industriebetriebe könnten relativ problemlos auf sonstige Energieträger umstellen. Was Martullo-Blocher dafür umso mehr Sorgen bereitet: «Ein Strommangel wäre für die Schweiz das deutlich grössere Problem.»
Die Schweiz muss im Winterhalbjahr 25 Prozent ihres Strombedarfs aus dem Ausland importieren. «Fällt dieser Strom weg, wird in der Schweiz vieles stillstehen», sagt Martullo-Blocher. Wichtige Infrastrukturen wie Kühlhäuser für Lebensmittel, Trinkwasser- und Abwassernetze oder Industriebetriebe würden allesamt weniger Strom erhalten. «Der Bund hat es bisher verpasst, hier Prioritäten festzulegen.»
Martullo-Blocher fordert auch eine Sonderregelung für die Chemiebranche. «Haben wir bei Ems-Chemie plötzliche Stromunterbrüche, stellt das eine Gefahr für Mensch und Umwelt dar.»
Stromkonzerne verdonnern, Stauseen zu füllen
Die Unternehmerin sitzt für die SVP im Nationalrat und fährt mit der Regierung hart ins Gericht: «Der Bund muss den Stromkonzernen endlich anordnen, dass sie die Stauseen füllen müssen. Die Seen sind unsere einzigen Stromspeicher.» Die Stromkonzerne dürften an dieser Forderung wenig Freude haben. Der hohe Strompreis lässt bei ihnen die Kassen klingeln.
Auch sonst sieht die Ems-Chemie-Chefin den Bund in der Pflicht. «Es müssen Prioritäten definiert werden. Wenn es knapp wird, muss ein konkreter Sparplan auf den Tisch. Beispielsweise eine Einschränkung, welche Zimmer daheim im nächsten Winter noch beheizt werden dürfen.»
Das wären natürlich enorme Eingriffe. Die Energiestrategie 2050 habe bereits völlig versagt, kritisiert Martullo-Blocher: «Hier sehen wir nun die Folgen.»
Martullo-Blocher zum Ukraine-Krieg