Ehemaliger Oberbefehlshaber der U.S. Army in Europa
Müssen wir uns auf einen Krieg vorbereiten? – «Natürlich!»

Der frühere Dreisternegeneral Ben Hodges warnt vor einem US-Truppenabzug aus Europa, nennt Putins nächste Ziele nach der Ukraine und erklärt, warum die Schweiz massiv in ihre Luftabwehr investieren sollte.
Publiziert: 08:03 Uhr
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Aktualisiert: 12:05 Uhr
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Ben Hodges kommandierte das US-Heer in Europa.
Foto: Getty Images
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Robin BäniRedaktor

Herr Hodges, als Donald Trump 2017 zum ersten Mal ins Weisse Haus einzog, waren Sie Oberkommandeur der US-Armee in Europa. Was war das für eine Zeit?
Ben Hodges: Damals habe ich die US-Truppen in Europa ausgebaut, bis ich Ende 2017 in Pension ging. Ich wusste noch nicht, was auf uns zukommt – dass Trump dereinst droht, US-Soldaten aus Europa abzuziehen. 

Könnte Trump seine Drohung tatsächlich wahr machen?
Klar. Die Frage ist nur, wann. Und wie viele Soldaten er abziehen wird.

Wie kommen Sie zu diesem Schluss?
Das US-Verteidigungsministerium finanziert derzeit 100’000 Soldaten in Europa über drei Töpfe: das reguläre Budget, die European Deterrence Initiative (EDI) und die Sondermittel für die Ukraine. Diese Sondermittel laufen aus. Ohne neue Gelder müssten wahrscheinlich 10’000 US-Soldaten aus Europa abgezogen werden.

Ben Hodges

Ben Hodges (66), ehemaliger Drei-Sterne-General der US-Armee, war von 2014 bis Ende 2017 Oberbefehlshaber der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa. Davor leitete er Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan. Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst wurde er leitender Mentor für Logistikfragen der Nato. Zudem gründete er eine Firma für strategische und geopolitische Unternehmensberatung. Gemeinsam mit anderen Experten verfasste er das Buch «Future War and the Defence of Europe» (dt.: Future War: Bedrohung und Verteidigung Europas). Heute lebt Hodges mit seiner Frau in Frankfurt am Main (D).

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Ben Hodges (66), ehemaliger Drei-Sterne-General der US-Armee, war von 2014 bis Ende 2017 Oberbefehlshaber der amerikanischen Landstreitkräfte in Europa. Davor leitete er Militäreinsätze im Irak und in Afghanistan. Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst wurde er leitender Mentor für Logistikfragen der Nato. Zudem gründete er eine Firma für strategische und geopolitische Unternehmensberatung. Gemeinsam mit anderen Experten verfasste er das Buch «Future War and the Defence of Europe» (dt.: Future War: Bedrohung und Verteidigung Europas). Heute lebt Hodges mit seiner Frau in Frankfurt am Main (D).

Und dann?
Danach könnte es die EDI treffen. Dieser Sonderfonds wurde nach der Krim-Annexion 2014 geschaffen, um Russland abzuschrecken. Über sie finanziert Washington rotierende Truppeneinsätze in Europa. Das sind Panzerbrigaden, Kampfpiloten, Artillerie-Trupps, also etwa 30’000 Soldaten, die jeweils für sechs bis neun Monate in Europa stationiert sind. 

Warum sollte Trump das tun?
Weil er die Truppen woanders einsetzen will. Jede neue US-Regierung überprüft, wo sie ihre Streitkräfte stationiert. Dies ist notwendig, da die Ressourcen nicht für alle Anforderungen genügen. Und nach allem, was ich aus Washington höre, hat Europa keine Priorität mehr. Trump sieht China als Hauptgegner. Darum will er, dass Europa endlich aufrüstet. Dann können die USA auch ihre bisher permanent stationierten Truppen in den indopazifischen Raum verlegen. 

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Ist es wirklich im amerikanischen Interesse, Europa sich selbst zu überlassen?
Nein, das ist es nicht. Die US-Truppen sind ja nicht primär in Europa, um Deutschland, Frankreich oder die Schweiz zu schützen.

Sondern?
Europa ist für die USA ein strategischer Aussenposten, von wo aus Operationen in Afrika, dem Nahen Osten und Eurasien koordiniert werden. Es geht um Vorwärtsverteidigung. Amerika kann sich nicht allein aus Texas oder North Carolina schützen.

Trump sieht das offenbar anders.
Ja, in seiner Wahrnehmung zahlen die Amerikaner Milliarden für die Verteidigung Europas. Dabei geht es bei den US-Streitkräften um weit mehr als europäische Sicherheit. Im Übrigen profitieren die USA wirtschaftlich enorm von einem stabilen Europa.

Was würde ein Abzug der US-Truppen für Europa bedeuten?
Wenn der US-Fussabdruck in Europa schrumpft, steigt das Risiko, dass Putin den Konflikt auf andere europäische Staaten ausweitet.

Für wie wahrscheinlich halten Sie, dass Putin ein weiteres Land attackiert?
Wenn sich Putin in der Ukraine durchsetzt, halte ich es für sehr wahrscheinlich, dass Russland zum Beispiel in die Moldau oder die baltischen Staaten vordringt. Die russischen Propagandisten reden die ganze Zeit darüber. Das ist also keine unbegründete Sorge, sondern eine immer wieder unmissverständlich geäusserte Absicht des Kremls. 

Angenommen, es kommt so weit: Eilen die USA dann zu Hilfe?
Eigentlich sollte dies die einfachste Frage für jeden US-Präsidenten sein: Natürlich, ihr könnt auf uns zählen. Aber allein die Tatsache, dass diese Frage derzeit oft gestellt wird, ist ein schlechtes Zeichen. 

Ohne die USA wäre die Nato tot. Dann könnte das Bündnis Putin nicht mehr abschrecken.
Das würde ich nicht sagen. Die Volkswirtschaft der EU ist massiv grösser als jene Russlands. Wenn die europäischen Staats- und Regierungschefs den politischen Willen aufbringen, das Notwendige zu tun, dann können sie Russland auch ohne die USA abschrecken.

Aber derzeit hat Europa militärisch gesehen wenig zu bieten.
Dieses Narrativ wird derzeit überall verbreitet, doch es ist ein Irrglaube. Oft gehen dabei Frankreich und Grossbritannien vergessen – beides Atommächte und Nato-Mitglieder. Dann sind Tausende Deutsche und Holländer in Litauen stationiert, Briten in Estland, Kanadier in Lettland. Weiter haben Italien, Frankreich und Deutschland starke Armeen, ganz zu schweigen von Finnland oder Polen. Zusammengenommen ist das eine beachtliche Streitkraft.

Die EU plant, 800 Milliarden Euro in die Verteidigung zu investieren. Europa will militärisch unabhängig von den Amerikanern werden. Ist das ein realistisches Ziel?
Es stimmt, dass die Alte Welt noch von US-Geheimdiensten, Kommandostrukturen, Logistik und Satelliten abhängig ist. Doch das kann sich ändern. Europa muss nur wollen.

Wie lange dauert es, bis Europa militärisch autark ist?
Das hängt davon ab, wohin das Geld fliesst: in Bildung, Gesundheit, Umwelt oder Sicherheit? Die Politik muss der Bevölkerung klarmachen, dass nicht alles in gleichem Umfang geht. Zudem hängt es von konkreten Massnahmen ab. Derzeit exportiert Europa 50 Prozent seiner Munition nach Afrika und in den Nahen Osten. Diese Lieferungen lassen sich rasch umlenken, um die eigenen Lager aufzustocken, wenn die Regierungen das unbedingt wollen. Und dann müssen Gesetze geändert werden. In vielen europäischen Ländern, darunter in Deutschland, dürfen Rüstungsfirmen nur produzieren, wenn sie einen staatlichen Auftrag erhalten. Wird diese Einschränkung aufgehoben, steigt die Produktion massiv. 

Nochmals: Was schätzen Sie, bis wann Europa militärisch unabhängig ist?
Wir müssen uns fragen, ab wann Russland bereit ist, einen konventionellen Angriff auf ein anderes europäisches Land zu starten. Wenn Putin seine Ziele in der Ukraine noch in diesem Jahr erreicht, dann wird es ein, zwei, vielleicht auch drei Jahre dauern und Russland wäre so weit. Die Uhr tickt, wir dürfen keine Zeit verlieren. Jetzt muss nicht debattiert, sondern gehandelt werden. 

Das klingt so, als müssten wir uns auf einen Krieg vorbereiten.
Natürlich! Der beste Weg, einen Krieg zu verhindern, ist, sich darauf vorzubereiten. Das wissen wir aus 5000 Jahren Geschichte. Wer unvorbereitet ist – ob physisch, moralisch oder mental – der lädt zur Aggression ein. 

Muss sich auch die Schweiz vorbereiten?
Jeder Krieg ist zu Beginn unwahrscheinlich. Vor drei Jahren glaubte niemand an einen Grossangriff Russlands auf die Ukraine. Auch die Schweiz sollte sich vorbereiten.

Die Schweiz ist doch ein neutrales Land.
Ich denke, Russland respektiert die Schweizer Neutralität nicht. Das muss nicht gleich heissen, dass russische Panzer dereinst in die Schweiz rollen. Aber wir sehen zum Beispiel, wie Russland im Schwarzen Meer und in der Nordsee den Freihandel stört – also einen hybriden Krieg führt. Die Schweiz ist dagegen nicht immun.

Was empfehlen Sie der Schweizer Armee?
Erstens: Lernt, wie man breitflächig Drohnen einsetzt und abwehrt. Zweitens: Investiert massiv in die Luftabwehr. Russland nutzt eine enorme Zahl an Artillerie, Gleitbomben und Raketen, um die gegnerische Infrastruktur zu zermürben. Und drittens: Trainiert in gross angelegten Manövern. Die Zeit der kleinen, gezielten Einsätze ist vorbei. Wir müssen wie im Kalten Krieg wieder lernen, wie sich eine hochgerüstete russische Armee bekämpfen lässt. 

Jetzt sprechen wir über Kriegsführung, die Welt debattiert jedoch über Frieden. Was ist Trumps Strategie in der Ukraine?
Ich denke, Trump möchte den Krieg wirklich beenden. Doch er übt nur Druck auf die Ukraine aus. Was das genau für eine Strategie sein soll, erschliesst sich mir nicht.

Trump hat Putin mit Sanktionen gedroht, sollte sich Russland gegenüber einem Frieden verschliessen.
Sanktionen allein genügen nicht. Es braucht militärischen Druck, damit Putins Truppen die Waffen niederlegen. Nur wenn der Kremlherrscher denkt, dass er seine Ziele in der Ukraine nicht mehr erreichen kann, wird er den Vernichtungskrieg stoppen – sonst macht Putin weiter, bis er die Ukraine unterworfen hat. 

Das klingt nicht so, als würden Sie mit einem baldigen Frieden rechnen.
Vieles hängt derzeit von Trump ab. Wird er ernsthaft Druck auf Russland ausüben? Wenn ja, dann kann es schnell gehen. Doch wir befinden uns immer noch in der ersten Phase. All diese Gespräche in Riad, im Oval Office, in Moskau, Brüssel, Paris, London – das ist nichts als Vorbereitung auf einen allfälligen Waffenstillstand. Ein ernsthafter Frieden steht noch gar nicht zur Debatte.

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