Auf einen Blick
«Naja.» Der viel gehörte Ausruf im Berliner Konrad-Adenauer-Haus, dem Hauptzentrum von Friedrich Merz’ (69) CDU, fasst die Stimmung in der neuen Kanzler-Partei ganz gut zusammen. Zwischen Freibier, Chili con Carne und dem etwas biederen Set von «DJ Cooper» haben sich die Anhänger des höchstwahrscheinlichen neuen Kanzlers im Westen der Hauptstadt versammelt.
Doch aus dem «Rambo Zambo», das sich Merz bei seiner kurzen Ansprache kurz vor 19 Uhr von den Versammelten gewünscht hat, wurde nichts. Die erhoffte 30-Prozent-Marke hat die Union nicht geknackt (28,8 Prozent laut den jüngsten Hochrechnungen). Dafür kommt die AfD auf über 20 Prozent der Stimmen. Und die FDP, der Union’ kleiner Bruder im Geiste, scheitert aller Voraussicht nach an der Fünf-Prozent-Hürde und schafft den Einzug in den neuen Bundestag nicht.
Will heissen: Friedrich Merz, dem 1,97-Meter-Hünen aus dem Sauerland, bleibt (weil er die mögliche Koalition mit der AfD ausschliesst) nur noch die Grosse Koalition, kurz: Groko. Also die politische Zwangsehe mit dem ungeliebten Junioren-Partner SPD, die ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren hat.
Ganz anders präsentierte sich die Situation, falls das «Bündnis Sahra Wagenknecht» die Fünf-Prozent-Hürde doch noch nimmt (laut den letzten Auszählungen am Wahlabend geht es um rund 10'000 Stimmen). Dann wäre die GroKo geplatzt und Merz müsste ein Dreierbündnis (zum Beispiel mit SPD und den Grünen) eingehen.
Was aber heisst das für Deutschland?
Wieder ein Angriff eines Asylbewerbers
Erst einmal banges also Warten. Die Verhandlungen über das Wie-Genau und Wer-Genau wird eine ganze Weile dauern. SPD-Chef Olaf Scholz (66) bleibt bis zur Absegnung der neuen Koalition Bundeskanzler. Stress dürfte er keinen haben, sich selber möglichst rasch von der politischen Bühne wegzuverhandeln.
Dabei ist es genau das, was Bald-Kanzler und Ex-Richter Merz will: Antreten! «Wir müssen so schnell wie möglich eine handlungsfähige Regierung haben. Die Welt da draussen wartet nicht auf uns», rief Merz seinen Anhängern im Konrad-Adenauer-Haus zu.
Bestärkt wurde der Sauerländer dabei von seinem bayrischen Pendant Markus Söder (58), der – ohne seinen bis vor kurzem getragenen Bart – auf die Bühne trat und dem nickenden Merz «Rückgrat» und «starke Führung» attestierte.
Die wird Deutschland brauchen. Zum zweiten Mal in Folge schrieb das Land im vergangenen Jahr rote Zahlen und landete damit bezüglich des Wirtschaftswachstums auf dem europäischen Schlussrang. Vier Angriffe von Asylbewerbern auf unschuldige Menschen – nach Solingen, Magdeburg und Aschaffenburg zuletzt ein syrischer Messerstecher in Berlin – haben dem Land zudem eine heftige Debatte über seine Willkommenskultur gegenüber Migranten beschert.
Die «Brandmauer» verfolgt ihn bis ins Kanzleramt
Auch hier muss Merz liefern, ohne die Mehrheiten für mögliche neue Verschärfungen alleine durch den Zusammengang mit der AfD zu erwirken. Die Mitte- und Linksparteien haben es ihm bis heute nicht verziehen, dass er seinen Fünf-Punkte-Plan zur Verschärfung der Einwanderergesetze mit den Stimmen der AfD durch den Bundestag gebracht hatte. Die «Brandmauer»-Debatte darüber, ob man mit den Rechtspopulisten von Kanzlerkandidatin Alice Weidel (46) gemeinsame Sachen machen soll oder nicht (Merz sagt klar: Nein!), spaltet das Land wie einst die Berliner Mauer.
Wichtiger noch als diese internen Debatten aber wird Deutschlands Verhalten auf der europäischen Ebene. Die USA haben den Europäern mehr oder minder offen die Freundschaft gekündigt. Der Ukraine gehts – wenn Donald Trump (78) seinen Willen nach einem schnellen, Russland-freundlichen Deal umsetzt – bald an den Kragen. Und die Alte Welt braucht neue Rezepte, um nicht zum hilflosen Prügelknaben erstarkender Autokraten zu verkommen.
Deutschland, die mit Abstand grösste Wirtschaftsmacht Europas und – nach der Ukraine, Polen und Frankreich – die viertgrösste Armee des Kontinents, dürfte eine entscheidende Rolle zukommen, wenn es um die Frage geht, ob Europa die ukrainischen Verbündeten fallenlässt oder ob man auch ohne die Amerikaner gegen den russischen Terror weiterkämpft.
Merz' klare Meinung zu Wladimir Putin
Merz will das machen, auch mit der Lieferung der deutschen Marschflugkörper vom Typ Taurus, die Olaf Scholz aus Angst vor einer Eskalation des Krieges nicht an Kiew weitergeben wollte. «Putin wird diesen Krieg erst beenden, wenn er entweder das gesamte Territorium der Ukraine besetzt hat, oder wenn er die Aussichtslosigkeit eines weiteren militärischen Vorgehens erkennt», sagte Merz jüngst in einem Interview mit «Politico».
Blenden lässt sich der Mann nicht: weder von den propagandistischen Floskeln aus dem Kreml, noch vom grellen Scheinwerferlicht im Konrad-Adenauer-Haus. Auch ohne «Rambo Zambo» im CDU-Wahlquartier: Dem neuen Kanzler steht ein schwieriger Tanz bevor.