Bald zwei Wochen dauert der Angriff des russischen Präsidenten Wladimir Putin (69) auf die Ukraine bereits. Und der Preis, den die ukrainische Bevölkerung bezahlen muss, wird immer höher: 1,7 Millionen Menschen sind laut aktuellsten Angaben der Vereinten Nationen auf der Flucht, die meisten befinden sich im Nachbarland Polen.
Aber noch lange haben es nicht alle Zivilisten aus den belagerten Städten geschafft. Vereinbarte Waffenruhen werden nicht eingehalten. Und die Fluchtrouten führen laut Medienberichten nach Russland – während die allermeisten ukrainischen Flüchtlinge die Route nach Westeuropa bevorzugen.
Rotes Kreuz spricht mit beiden Seiten
Dominik Stillhart koordiniert als Direktor für Operationen die humanitären Einsätze des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK). Es ist eine der Organisationen, die noch im Kriegsgebiet aktiv ist. Gegenüber Blick sagt Stillhart: «Unsere Mitarbeitenden arbeiten daran, Versorgungswege aufzubauen und Hilfsgüter und Medikamente zu liefern.» Die Kommunikationskanäle seien offen – und zwar in beide Richtungen. «Das IKRK ist eine der wenigen Organisationen überhaupt, die noch mit der russischen Seite zusammenarbeitet.»
Der Druck vor Ort sei allerdings riesig, denn für die Mitarbeitenden sei es kaum möglich, die Hilfe von einem sicheren Ort aus zu organisieren. «Eigentlich gibt es zurzeit in der ganzen Ukraine keinen Ort, wo man sicher ist.»
Sicherheit ist ohnehin trügerisch im Kriegsgebiet. Und so sind es offensichtlich auch die Versprechen des russischen Präsidenten. Als das IKRK am Sonntag feststellen musste, dass ein vermeintlich sicherer Fluchtkorridor aus der belagerten Stadt Mariupol in Wahrheit vermint war, ging die Nachricht um die Welt.
Stillhart vermutet dahinter gar nicht so sehr böse Absicht – sondern ein Mangel an genauen Abmachungen, wie er gegenüber Blick sagt. Denn die Evakuierungsroute hätte nicht definiert, welche von drei möglichen Strassen gemeint war. «An einem Checkpoint wurden sie gestoppt», berichtet Stillhart. Das IKRK-Team wurde informiert, dass es nicht möglich sei, weiterzufahren. Erst müssten Minen aus dem Weg geräumt werden.
Gespräche in der Türkei geplant
Ob es die russische Seite war, die den Konvoi auf die verminte Route geschickt hat, will Stillhart nicht sagen – es spiele auch keine Rolle. «Es geht darum, zu illustrieren, wie wichtig präzise und konkrete Vereinbarungen für diese humanitären Korridore sind.»
In einem Kriegskontext wie in der Ukraine sei das aber gar nicht so einfach. Und dass eine Evakuierungsroute über ein Minenfeld führt, sogar typisch. Das IKRK könne die Sicherheit humanitärer Korridore nicht garantieren, hält Stillhart fest. «Das müssen die Kriegsparteien vereinbaren, und zwar auf höchstem Niveau.»
Immerhin: Die Gespräche zwischen der Ukraine und Russland liefen gestern weiter, wenn auch ohne Resultate. Beide Länder bekräftigten aber nach der dritten Verhandlungsrunde die Absicht, humanitäre Korridore zu schaffen. Der russische Aussenminister Sergei Lawrow (71) will sich mit seinem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba (40) am Donnerstag in der Türkei treffen.