«Sie haben Menschen entführt, gequält und gefoltert»
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Bürgermeister von Isjum:«Sie haben Menschen entführt, gequält und gefoltert»

Die Schande von Isjum
Putins Soldaten entführen bei Rückzug 80 Kinder

Wenige Tage nach der Befreiung der Stadt im Donbass wird das Ausmass der russischen Verbrechen vor Ort klar. Für die entführten Kinder besteht kaum noch Hoffnung.
Publiziert: 17.09.2022 um 08:01 Uhr
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Aktualisiert: 17.09.2022 um 11:13 Uhr
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Ukrainische Kinder aus der Region Charkiw kommen in einem Auffanglager im russischen Belgorod an.
Foto: keystone-sda.ch
Samuel Schumacher (Text) und Yevhen Semekjin (Video)

Die russischen Besatzer sind nach dem ukrainischen Blitz-Angriff aus der Donbass-Stadt Isjum geflohen – und sie haben etwas mitgenommen: die Kinder.

«Vor einer Woche haben die russischen Soldaten 80 unserer Kinder entführt und in ein Lager in Gelendschik (Anm. der Redaktion: eine Stadt im Süden Russlands) gebracht», erzählt Walerij Martschenko, der Bürgermeister von Isjum, am ersten Tag nach der Befreiung seiner Stadt. «Es ist unmöglich, sie je wieder von da zurückzuholen.»

Der ukrainische Journalist und Übersetzer Yevhen Semekjin (36), mit dem Blick in der Ukraine zusammenarbeitet, hat Martschenko nur einen Tag nach der Befreiung der Stadt vor dem schwer beschädigten Rathaus von Isjum getroffen. Semekjin war einer der allerersten Auswärtigen, die nach der Flucht der russischen Besatzer nach Isjum gereist sind und vor Ort mit den Überlebenden des russischen Horrors sprechen konnten. Einen ganzen Monat lang hatten Putins Truppen die Stadt mit den einst knapp 50'000 Einwohnern besetzt.

Verschleppt und in Sibirien zur Adoption freigegeben

Welche Verbrechen die Russen während ihrer Besatzung an der lokalen Bevölkerung verübt hätten, werde sich erst noch zeigen, erzählt Bürgermeister Walerij Martschenko. «Es gab viele Fälle von Entführungen. Viele Menschen sind einfach verschwunden, viele wurden gefoltert.» Man habe sie in einen Kerker geworfen, sie vergewaltigt und geschlagen. «Mehrere der Gefolterten, die die Tortur überstanden haben, haben sich danach umgebracht, weil sie es schlicht nicht mehr ausgehalten haben.» Einige aber hätten überlebt und würden jetzt in Spitälern gepflegt. «Sie werden später gegen die Verbrecher aussagen können», hofft der Bürgermeister.

Für die entführten Kinder aber gibt es wenig Hoffnung. Was die Russen mit den verschleppten Minderjährigen machen, hat sich bereits früh im Ukraine-Krieg gezeigt. Allein aus der komplett zerstörten Stadt Mariupol haben Putins Truppen laut ukrainischen Angaben mehr als 1000 Kinder verschleppt und in Sibirien zur Adoption freigegeben. 300 weitere Kinder würden in einem «speziellen Lager» in der südrussischen Stadt Krasnodar festgehalten, sagte der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba (41) im August. Auf einen Aufruf der ukrainischen Regierung, die Kinder unverzüglich in die Ukraine zurückzubringen, reagierte Moskau nicht.

Batzen für jene, die Gehirnwäsche akzeptieren

Blick-Übersetzer Yevhen Semekjin hat bei seinem Besuch im befreiten Isjum Dokumente gefunden, die zeigen, was die Russen mit dem in Isjum verbliebenen Nachwuchs vorhatten: «Ich bin ins Rathaus gegangen und habe dort ein Schriftstück entdeckt, das im Detail aufzählt, wie die Russen die Erstklässler ab dem neuen Schuljahr einer Gehirnwäsche unterziehen wollten», erzählt Semekjin. Laut des Dokuments, das Blick vorliegt, hätten in Isjum auf Beginn des neuen Schuljahrs diesen Herbst 23 russische Schulen eröffnet werden sollen. Jenen Eltern, die ihre Kinder freiwillig auf die russischen Propaganda-Schulen geschickt hätten, sollte ein bestimmter Geldbetrag ausbezahlt werden.

Isjums Bürgermeister Walerij Martschenko sagt dazu: «Die Vorbereitungen liefen auf Hochtouren. Sie haben alle ukrainischen Bücher aus unseren Schulen entfernt und durch russische Literatur ersetzt. Doch jetzt wirds nichts mit ihrem Versuch.»

Bei ihm und seinen Mitarbeitenden hätten sich bereits zahlreiche Geflohene gemeldet, die in die befreite Stadt zurückkehren wollten – trotz aller Zerstörung. Zuerst müsse das Militär die Gegend jetzt richtig absichern, erzählt Martschenko. «Der Kommandant der ukrainischen Truppen hier hat mir aber gesagt, dass wir in einer Woche mit der Rückkehr beginnen können.» Wie viele Bewohner der Stadt überhaupt noch am Leben sind und wie viele für immer verschwunden bleiben, wird sich erst danach zeigen.

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