Es wird wohl nichts mit einem Machtwechsel in der Türkei. Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) hat bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag besser abgeschnitten, als die Umfragen vorausgesagt hatten. Jetzt gehts in die zweite Runde. Vermutlich steht einem Erdogan-Sieg auch bei der Stichwahl nichts mehr im Wege.
Wie haben die Türkinnen und Türken gewählt?
Erdogan holte am Sonntag 49,5 Prozent der Stimmen und liegt somit vor seinem von einem Sechs-Parteien-Bündnis unterstützten Herausforderer Kemal Kilicdaroglu (74), der auf 44,8 Prozent kam. Auf dem dritten Platz landete mit 5,3 Prozent abgeschlagen Sinan Ogan (55). Das bedeutet: Weil keiner das erforderliche absolute Mehr erreichte, kommt es am 28. Mai zur Stichwahl zwischen Erdogan und Kilicdaroglu.
Wie fair sind die Wahlen abgelaufen?
Die Wahl lief nach einer ersten Einschätzung der zuständigen Behörde praktisch ohne Probleme ab. Oppositionspolitiker meldeten kleinere Zwischenfälle aus verschiedene Provinzen. So gab es während der Auszählung Zweifel an den von der Staatsagentur Anadolu veröffentlichten Zahlen. Das bisher vorliegende Resultat wird aber auch von der oppositionsnahen Nachrichtenagentur Anka akzeptiert.
Wie ist Erdogans Resultat zu werten?
Auch wenn Erdogan – entgegen der Prognosen – vorne liegt, ist es für ihn ein Rückschlag. In seinen 20 Jahren an der Macht hat er bislang jede landesweite Wahl gewonnen. Die Aura des Unbesiegbaren geht ihm durch diese Stichwahl verloren. Kilicdaroglu trat in der Nacht gemeinsam mit den Parteichefs seines Sechser-Bündnisses vor die Presse. «Erdogan hat trotz seiner Diffamierungen und Beleidigungen nicht das Ergebnis erreicht, das er sich erwartet hatte», sagte er.
Warum waren die Umfragen falsch?
Die meisten Umfragen hatten eine Stimmenmehrheit für Kilicdaroglu vorausgesagt. «Die Opposition war zu naiv und euphorisch. Sie gab sich zu siegessicher», heisst es bei Wahlbeobachtern. Für viele war Kilicdaroglu der falsche Kandidat. Er gilt als wenig charismatisch, als bürokratisch und zu nett.
Wer wird die Stichwahl gewinnen?
Erdogan hat die grösseren Chancen. Seine islamisch-konservative AKP und ihr ultranationalistischer Partner MHP dürften die Mehrheit im Parlament voraussichtlich halten können. Erdogan appelliert daher an die Türken und warnt davor, dass sich Parlament und ein oppositioneller Präsident blockieren würden. Er warnt auch vor einem Verlust von «Sicherheit und Stabilität», sollte er abgewählt werden.
Welche Rolle wird Sinan Ogan spielen?
Der ultranationalistische Ogan, der den dritten Platz erreichte, dürfte das Rennen nochmals spannend machen. Welchen Kandidaten wird er seinen Anhängern zur Wahl empfehlen? Zurzeit verhandelt er mit Erdogan und Kilicdaroglu. Er wird ausloten, wer ihm mehr bieten kann – ein Ministeramt zum Beispiel. Wegen der Kurdenfrage wird er wohl eher Erdogan zur Wahl empfehlen.
Was wird aus der Türkei, wenn Erdogan an der Macht bleibt?
Die Wahl gilt als richtungsweisend. Es wird befürchtet, dass das Nato-Land unter weiteren fünf Jahren Erdogan noch autokratischer werden und seine Gegner noch härter verfolgen könnte. Kilicdaroglu verspricht die Rückkehr zu einem parlamentarischen System sowie zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.