Einen Tag vor der Wahl in der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan (69) angekündigt, auch im Fall einer Niederlage das Ergebnis der Abstimmung zu akzeptieren. «In der Türkei kommen wir mit demokratischen Mitteln an die Macht», sagte er am Freitagabend in Istanbul. Wenn sich die Nation am Sonntag gegen ihn entscheide, werde er tun, «was die Demokratie erfordert».
Er gehe jedoch davon aus, dass er für eine weitere Amtszeit gewählt und mit seinem Bündnis auch die Mehrheit im Parlament mit seinen 600 Abgeordneten erringen werde, sagte Erdogan weiter. Die Allianz aus Erdogans, islamisch-konservativer AKP, der ultranationalistischen MHP sowie kleineren rechten und islamistischen Parteien werde «jedes Ergebnis aus den Wahlurnen respektieren», fügte er hinzu.
Am Sonntag wird in der Türkei gewählt. Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu (74) liegt in den meisten Umfragen vorn, es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Beobachter befürchten, dass Erdogan bei einem knappen Wahlausgang versuchen könnte, das Ergebnis anzufechten. Einige begründen die Sorge auch damit, dass seine Partei 2019 das Resultat der Istanbuler Bürgermeister-Wahl nach einem Sieg der Opposition annullieren liess.
Erdogan pestet gegen Joe Biden
Erdogan wurde 2003 Ministerpräsident und ist seit 2014 Präsident. Er kann seit der Einführung eines Präsidialsystems vor fünf Jahren weitgehend am Parlament vorbei regieren. Kritiker befürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte Erdogan erneut gewinnen.
Kemal Kilicdaroglu fordert den Amtsinhaber bei der Wahl heraus. Er ist Chef der sozialdemokratischen CHP und tritt für ein breites Bündnis aus sechs Parteien an und will zum parlamentarischen System zurückkehren.
Erdogan warnte am Samstag, ein Sieg Kilicdaroglus werde islamischen und familiären Werte in der Türkei sowie die Beziehungen zu Russland gefährden. Er beschuldigte westliche Politiker, darunter US-Präsident Joe Biden (80), seine Abwahl zu wollen.
Erdogan betet in der Hagia Sophia
Oppositionsführer Kilicdaroglu appellierte unterdessen an seine Unterstützer, die Wahlurnen nicht aus den Augen zu lassen. «Ihr gebt niemals auf und verlasst euren Posten nicht», sagte er in einem auf Twitter verbreiteten Video. Es habe Drohungen gegen Wahlhelfer gegeben, sagte er, ohne ins Detail zu gehen. Der Wahlkampf hatte sich zuletzt zugespitzt. Ein beliebter Oppositionspolitiker war vergangenen Sonntag mit Steinen beworfen worden, mehrere Menschen wurden verletzt.
Am letzten Tag vor der Wahl stellten die beiden Gegner ihre unterschiedliche Vision für die Türkei symbolisch zur Schau: Erdogan plant, seinen Wahlkampf mit einem Gebet in der berühmten Hagia Sophia in Istanbul abzuschliessen. Er hatte das Monument trotz Protest 2020 von einem Museum in eine Moschee umwandeln lassen. Kilicdaroglu dagegen beendete seinen Wahlkampf mit einem Besuch am Mausoleum des Gründers der säkularen Republik, Mustafa Kemal Atatürk, in Ankara. (SDA)