Die Stimmabgabe bei der Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei ist beendet. Die Wahllokale im Land schlossen am Sonntag um 16 Uhr MESZ. Mit Ergebnissen wurde am späteren Abend gerechnet. Insgesamt waren etwa 64 Millionen Menschen im In- und Ausland aufgerufen, den Präsidenten und ein neues Parlament zu wählen.
Bei der Präsidentenwahl zeichnete sich in Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan (69) und Oppositionsführer Kemal Kilicdarolgu (74) ab. Wer die Mehrheit im Parlament mit 600 Abgeordneten erhält, war noch nicht absehbar.
Nachdem 23 Prozent der Stimmen am Sonntagabend ausgezählt waren, lag Erdogan deutlich vorne. Er kam laut der Nachrichtenagentur Anadolu auf 54,6 Prozent der Stimmen. Kilicdaroglu lag bei 39,4 Prozent. Bei den Anadolu-Zahlen ist allerdings Vorsicht geboten, in der Vergangenheit wurde der Nachrichtenagentur vorgeworfen, Erdogan und seine Partei AKP zu begünstigen.
Die Partei von Kilicdaroglu ging von einer Rekordbeteiligung aus. Erste verlässliche Ergebnisse wurden am Abend erwartet. Das sagte die Istanbuler CHP-Vorsitzende Canan Kaftancioglu am frühen Sonntag. Bis auf einzelne Fälle sei die Wahl problemlos abgelaufen. Ähnlich äusserte sich auch der Chef der Wahlbehörde YSK, Ahmet Yener.
Erdogan oder Kilicdaroglu?
Bekommt keiner der Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen, geht es für die beiden stärksten Kandidaten in zwei Wochen in eine Stichwahl. Dem Kandidaten eines ultranationalistischen Parteienbündnisses, Sinan Ogan (55), wird Umfragen zufolge nur ein niedriges einstelliges Ergebnis vorausgesagt.
Obwohl er seine Kandidatur zurückgezogen hat, ist auch Muharrem Ince (59) von der Vaterlandspartei auf den Stimmzetteln abgebildet. Sollten Wähler ihren Stempel unter ihm machen, wird die Stimme der Wahlbehörde zufolge trotzdem gezählt. Ince hatte seinen Rückzug erst nach den früher endenden Abstimmungen von Türken im Ausland bekannt gegeben. Auch diese Stimmen sollen gültig sein. Ince waren kaum Chancen eingeräumt worden. Durch seinen Rückzug ist eine Entscheidung in der ersten Runde zwischen den Favoriten Erdogan und Kilicdaroglu wahrscheinlicher geworden.
In den sozialen Medien kursierten derweil Informationen zu Ausschreitungen rund um Wahllokale. In Istanbul soll es zu Schlägereien gekommen sein. Offiziell bestätigt ist dies nicht. Das deutsche Konsulat in Istanbul rät «auf Gänge durch die Stadt zu verzichten», da es «angesichts der Ungewissheit des Wahlausgangs und der möglichen Reaktionen der Kandidaten auf das Ergebnis» zu Gewalt kommen könnte. Das Schreiben wurde von ARD-Korrespondent Oliver Mayer-Rüth auf Twitter geteilt.
Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2018 hatten 86,2 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben. Präsident Recep Tayyip Erdogan gewann damals mit 52,6 Prozent. Im Parlament holte die AKP mithilfe ihres ultranationalistischen Partners MHP eine Mehrheit. (SDA)