EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (62) ist nicht zu beneiden. Am EU-Gipfel diese Woche in Brüssel muss sie sich um drei Sorgenkinder kümmern: Boris Johnson (56) sowie Viktor Orbán (57) und Mateusz Morawiecki (52). Der britische Premierminister reist heute nach Brüssel, um – wohl das letzte Mal – über einen Brexit-Handelspakt zu verhandeln.
Am Donnerstag will die EU an ihrem Gipfel die Ministerpräsidenten von Ungarn und Polen dazu bewegen, das vorgesehene Milliardenbudget für Corona-Hilfen nicht mehr zu blockieren.
Die Resultate der Verhandlungen sind von grosser Tragweite für Europa. Das sind die beiden happigen Traktanden:
1. Letzte Verhandlungen über Brexit-Pakt
Grossbritannien ist am 31. Januar dieses Jahres aus der EU ausgetreten. Bis Ende 2020 läuft jedoch eine Übergangsfrist, in der das Königreich im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion bleibt.
Nun wird darüber verhandelt, wie es ab 1. Januar 2021 weitergehen soll. Es gibt drei grosse Streitpunkte: Fischereirechte für die EU in britischen Gewässern, fairer Wettbewerb und der Rahmen zur Durchsetzung der Vereinbarungen.
Am Mittwoch ist die letzte Chance, eine Einigung zu erzielen. Sonst droht ein harter Bruch mit schweren wirtschaftlichen Folgen auf beiden Seiten.
Johnson zeigte sich am Dienstag vorsichtig optimistisch. «Ich bin sehr hoffnungsvoll, aber ich muss ehrlich mit Ihnen sein: Ich denke, die Situation ist im Moment sehr knifflig.»
Aus der EU sowie der EU-Kommission kamen ebenfalls zurückhaltende Signale. Der deutsche Europa-Staatsminister Michael Roth (50) forderte politischen Willen zu einer Einigung von London, EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic (54) betonte: «Wir sind immer noch sehr weit voneinander entfernt.»
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Es sind drei Szenarien möglich: eine Einigung heute in letzter Minute, eine Verlängerung der Übergangszeit – oder ein Knall. Johnson liebt das grosse Drama.
2. Kampf gegen Finanz-Blockaden
Aus Protest gegen ein neues Verfahren zur Ahndung von Rechtsstaatsverstössen blockieren Ungarn und Polen Entscheidungen für die milliardenschweren Corona-Konjunkturhilfen sowie den Sieben-Jahre-Haushaltsplan der EU.
Diese Blockade könnte dazu führen, dass der EU im kommenden Jahr nur ein Notbudget zur Verfügung steht und viele Programme aus Bereichen wie Forschung, Gesundheit, Bildung und Jugend nicht starten könnten.
Wenn die EU das für die Corona-Hilfe vorgesehene Geld nicht ausgeben kann, träfe das vor allem die südeuropäischen Länder, deren Volkswirtschaften unter den Covid-Massnahmen besonders stark leiden.
In Brüssel redet man von Erpressung.
Vorwürfe an Ungarn und Polen
Die EU hat dieses Jahr einen sogenannten Rechtsstaatsmechanismus eingeführt, mit dem Mitgliedsländer sanktioniert werden können, die sich nicht an die gemeinsamen Werte halten. Vor allem Ungarn und Polen stehen am Pranger. Den beiden Ländern werden unter anderem Korruption, Eingriff in die Medienfreiheit und Rechtsextremismus vorgeworfen.
Der ungarische Ministerpräsident Orbán gab sich vor dem Gipfel in Brüssel gegenüber der deutschen Ratspräsidentschaft siegessicher: «Wir haben die Chance auf einen polnisch-ungarischen Sieg.»
Er glaubt aber an eine Einigung: «Ich denke, wir haben gute Chancen, um diese Angelegenheit noch diese Woche abzuschliessen.» Man sei nur noch «einen Zentimeter» von einer Lösung entfernt.
EU denkt an Plan B
Wenn es keine Einigung gibt, will die EU einen Plan B einschlagen. Die EU-Kommission hat bereits begonnen, das bis 750 Milliarden Euro schwere Corona-Konjunkturprogramm ohne Polen und Ungarn zu organisieren.
Die beiden Länder würden sich dann ins eigene Fleisch schneiden: Polen müsste auf Corona-Hilfen in der Höhe von 23,1 Milliarden (24,8 Milliarden Franken) und Ungarn in der Höhe von 6,2 Milliarden Euro (6,6 Milliarden Franken) verzichten.