Zwischen London und Brüssel liefen am Montagabend die Drähte heiss. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (62) und der britische Premierminister Boris Johnson (56) telefonierten über eine Stunde miteinander, um über die weiteren Beziehungen zu verhandeln.
Grossbritannien war am 31. Januar dieses Jahres aus der EU ausgetreten. Bis Ende 2020 läuft jedoch eine Übergangsfrist, in der das Königreich im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion bleibt. Die grosse Frage ist nun: Was kommt am 1. Januar 2021?
Hoffnung nur kurze Zeit
Kurze Zeit flammte am Montag Hoffnung auf, als es hiess, dass London beim von der EU kritisierten Binnenmarktgesetz umstrittene Klauseln des Gesetzentwurfs entschärfen oder gar entfernen würde.
Mit dem Binnenmarktgesetz will Boris Johnson Grenzkontrollen zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem Rest Grossbritanniens verhindern, falls es zu keinem Freihandelsabkommen mit der EU kommt.
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Aber genau diesen Kontrollen in der Irischen See hatte seine Regierung im Januar in einem Abkommen mit der EU zugestimmt. Diese Kontrollen würden es ermöglichen, dass es dafür zwischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland keine Kontrollen bräuchte. An dieser inneririschen Grenze herrschte vor fast hundert Jahren ein heftiger Bürgerkrieg, der die irische Politik heute noch belastet und dessen Wiederausbruch man mit allen Mitteln verhindern will.
Nur noch Zeit bis Mittwoch
Aber auch mit einem Einlenken Londons beim Binnenmarktgesetz wären die Hürden noch nicht beseitigt. Zu reden geben auch die Rechte für EU-Fischer in britischen Gewässern, was vor allem für die Franzosen wichtig ist, faire Wettbewerbsbedingungen sowie Regeln zur Ahndung von Verstössen gegen das Abkommen.
Käme es zu keinem Abkommen, würden auf Neujahr Zölle und andere Handelshürden drohen. Die Wirtschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals rechnet für den Fall eines No-Deal-Brexits mit starken Verwerfungen. Verbände warnen vor Lebensmittel- und Arzneimittelknappheit. Befürchtet wird, dass es zu kilometerweiten Staus im Hinterland des Fährterminals in Dover und der Einfahrt in den Eurotunnel in Folkestone kommt.
Die Zeit drängt. EU-Chefunterhändler Michel Barnier (69) sagte am Montag, es könne nur noch bis spätestens Mittwoch verhandelt werden, weil am Donnerstag und Freitag der EU-Gipfel stattfindet. Doch teilte die EU-Kommission nach dem Telefongespräch am Montagabend mit, dass Johnson in den kommenden Tagen nach Brüssel reisen werde, um mit von der Leyen die schwierigsten Fragen zu klären.
Der britische Premier reizt es also erneut aus: Die Diskussionen über die künftige Beziehung zwischen Brüssel und London könnten erneut in die Verlängerung gehen – es dürfte die letzte sein.