Auf einen Blick
Katerstimmung am Tag danach? Keine Spur davon bei Friedrich Merz (69) – trotz des «Rambo Zambo», mit dem die Union am Sonntagabend bis spät in die Nacht ihren Wahlsieg gefeiert hat. Entspannt und gut gelaunt trat der wohl baldige neue Kanzler Deutschlands am Montagmittag auf die Bühne im Konrad-Adenauer-Haus und verkündete: «Ab nächster Woche wird verhandelt.»
Nicht mit Russland. Das würde der einstige Artillerie-Unteroffizier der deutschen Bundeswehr (Dienstjahre 1975/76) niemals tun, bevor die Ukraine nicht massiv militärisch gestärkt worden ist. Verhandeln wird Merz mit den Sozialdemokraten der SPD, mit denen er – so viel steht fest – bis Mitte April die Koalitionsverträge unterzeichnet haben will. Blick hat sich auf den Strassen Berlins umgehört – was denken die Menschen über den wahrscheinlich nächsten Kanzler? Die Antworten überraschen.
Die Koalition CDU mit der SPD als kleinstes Übel für die Nation. Ein schwarz-rotes Osterei also für Deutschland – möglichst ohne böse Überraschungen. Darauf freue er sich, sagt SPD-Wähler Can Öctem (35). Hinter ihm flanieren Touristen entlang der besprühten Berliner Mauer, die hier noch als Relikt aus alten Zeiten steht. Doch statt zurück müsse Deutschland jetzt nach vorne schauen: «Mal sehen, was Merz für nen Job macht. Was geführt hat der ja noch nie.»
«Wir sollten nicht immer so missgünstig sein»
Tatsächlich: Der Jurist und Ex-Vorstandsmann diverser internationaler Unternehmen (darunter Stadler Rail und der US-Vermögensriese Blackrock) hat noch nie ein Exekutivamt ausgeführt. «Das ist schon schwierig, dass er keine Führungserfahrung hat», sagt CDU-Wähler Klaus Danz (85). Er kommt grad vom Morgen-Training und ist in Sorge: «Deutschland und Europa werden weiter an Bedeutung verlieren.» Sein Land sei völlig überfordert mit der Migration.
Ganz anders sieht das Diana Freitag (28), die mit ihrem Gassi-Service zwei grosse Hunde durch das sonnige Friedrichshain-Quartier führt. «Viele Deutsche sehen immer nur das Schlechte und sind missgünstig. Wir sollten mal damit aufhören, immer die negativen Punkte rauszupicken und uns daran aufzuhängen.» Eigentlich gehe es den Menschen hier doch gut, sagt die Linke-Wählerin.
Ebenfalls links gewählt hat der Youtuber und Bartträger Marlon Soyka (36). Von Merz erhofft er sich wenig. Angst macht ihm die erstarkte AfD, die 45 von 48 Wahlkreisen im ehemaligen Ostdeutschland gewonnen hat. «Mit unserer Vergangenheit sollten wir uns von rechts so weit wie möglich fernhalten», mahnt der gebürtige Berliner.
Von rechts fernhalten, das will sich auch die SPD. Ein Bündnis mit der halb-rechten Union nimmt man dafür gerne in Kauf. Man muss ja fast dankbar sein, dass man nach dem schlechtesten Wahlergebnis seit 1890 (!) überhaupt nochmals mitregieren darf. Das sei schon «bitter» gewesen, gestand Olaf Scholz (66) in der SPD-Parteizentrale. Klar ist: Scholz wird sich in der nächsten Koalition nicht mehr als Minister zur Verfügung stellen und voraussichtlich als ganz normaler Bundestagsabgeordneter seinen Politikerjob machen.
Der neue starke Mann der SPD
Der neue starke Mann in der SPD heisst Lars Klingbeil (47). Der designierte neue Fraktionschef der Sozialdemokraten stand am Wahlabend auf der Bühne auffällig weit weg von Scholz. Distanz schaffen zu den Partei-Versagern, Neustart markieren: ein geschickter Schachzug. «Das werden harte Jahre für uns, das wird ein harter Kampf», mahnte Klingbeil am Montag. «Es ist jetzt die Aufgabe der deutschen Politik, Europa wieder stark zu machen.»
Dem pflichtet auch Karin (90) bei. Ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen. Aber zur Lage der Nation, da sagt die fitte Rentnerin gerne was: «Das Kriegsgeheul muss aufhören. Ich habe den Weltkrieg ja noch selber erlebt. Meinen Enkeln soll das erspart bleiben», sagt die Linke-Wählerin. Wer so vieles erlebt habe wie sie, der sieht manches ein wenig entspannter. «Es sieht schon grad ein bisschen mies aus», meint Karin. «Aber glauben Sie mir, die Deutschen rappeln sich schon wieder hoch!»