Es war einst das reichste Land Lateinamerikas mit einer Wirtschaftsleistung wie Grossbritannien oder Japan. 50 Jahre später herrscht in Venezuela ein Chaos, aus dem rund acht Millionen Menschen geflohen sind. Es ist laut der Uno-Flüchtlingsorganisation UNHCR die zweitgrösste Fluchtbewegung weltweit.
Für das Elend verantwortlich ist Nicolás Maduro (61), der sich am vergangenen Sonntag bei den Wahlen erneut zum Staatspräsidenten küren liess. Für ihn steht fest, dass er die Wahlen gewonnen hat, während ihm die Wahlbeobachter des unabhängigen amerikanischen Carter Center Wahlbetrug vorwerfen.
Zahlreiche Staaten wie die USA, Argentinien, Chile sowie die EU anerkennen seinen Wahlsieg daher nicht und machen Druck. Wird der linke Herrscher nach elf Jahren gestürzt?
Wer ist Maduro?
Der ehemalige Buschauffeur Maduro hat 2013 das Präsidentenamt von Hugo Chávez (1954–2013) übernommen, der 1999 die Macht an sich gerissen hatte und das Land in einen autoritären Sozialismus führte. Über Jahre beschenkte er die Venezolaner dank der Bodenschätze mit Gratisbenzin, vernachlässigte aber Investitionen und Produktivität. Um weitere Bodenschätze zu holen, drohte Maduro im vergangenen Jahr sogar mit einer Invasion und Annexion des Nachbarlandes Guyana.
Maduros elfjährige Amtszeit besteht aus lauter Niederlagen, die sich in der massiven Fluchtbewegung zeigen. Unter ihm stürzte die Wirtschaft ins Bodenlose. Die Hyperinflation war mit 1,4 Millionen Prozent so gross, dass er bei den Bolivar-Banknoten kurzerhand fünf Nullen strich.
An Drogendeal beteiligt
Günter Maihold (67) vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin glaubt, dass der autokratisch regierende Maduro trotz aktueller Unruhen fest im Sattel sitzt. «Die regierende Machtelite setzt sich aus Parteigängern von Maduro und dem Militär zusammen, das zentrale Positionen in der Verwaltung und im nationalen Ölkonzern PDVSA besetzt.»
Beide Gruppen bedienten sich an den Staatsressourcen und seien an illegalen Geschäften wie Drogenhandel und dem Verschieben von wertvollen Mineralien wie Gold beteiligt. Maihold: «Das schweisst sie zusammen, bislang sind keine relevanten Fissuren in diesem Machtblock zu erkennen.»
Oppositionsführerin in Angst
Der offensichtliche Wahlbetrug Maduros treibt viele Venezolaner auf die Strasse. Maduro tobt und lässt unbarmherzig auf sie eindreschen: Mindestens elf Menschen kamen in den ersten Tagen nach den Wahlen bei Protesten ums Leben, mindestens 1200 laut der Maduro-Regierung «Kriminelle» wurden gefasst.
Die Opposition betrachtet Herausforderer Edmundo González Urrutia (74) vom Bündnis Plataforma Unitaria Democrática als Sieger. Oppositionsführerin María Corina Machado (56), die wegen angeblicher Unregelmässigkeiten als Abgeordnete ein Polit-Verbot für 15 Jahre kassiert hatte und nicht kandidieren durfte, fürchtet um ihr Leben und versteckt sich.
Zeichen stehen auf Sturm
Eine Beruhigung ist nicht in Sicht. Die Versuche einer unabhängigen Überprüfung des Wahlergebnisses stecken in einer Sackgasse, die Bemühungen Brasiliens, Kolumbiens und Mexikos um eine friedliche Lösung haben keine Fortschritte gebracht. Maihold: «Zurzeit sieht alles nach Eskalation aus. Die Befürchtung besteht, dass es zu einer erneuten Migrationswelle kommt.»
Einfluss nehmen könne man jetzt vor allem mit Druck von aussen. Das schreibt R. Evan Ellis (57), Forschungsprofessor für Lateinamerika am Institut für strategische Studien des U.S. Army War College, auf der Webseite The Dialogue – Latin America Advisor. Für die USA und die gleichgesinnten demokratischen Partner gelte es nun, mit maximalen Sanktionen Druck aufzubauen, um das Regime zu isolieren und die «Ansteckungsgefahr» durch seine kriminellen und subversiven Handlungen in der Region zu minimieren.
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USA machen Druck
Für die Schweiz, die bereits 2018 Sanktionen der EU gegenüber Venezuela übernommen hatte, heisst es abwarten. Das EDA schreibt auf Anfrage: «Wir warten weiterhin auf die Veröffentlichung der detaillierten Resultate für die einzelnen Wahlbüros durch die Wahlbehörde, was für die Transparenz, die Glaubwürdigkeit und die Legitimität der Wahlresultate unabdingbar ist.»
Dass es die USA ernst meinen, zeigt John Kirby (61), Kommunikationsdirektor des nationalen Sicherheitsrates. Er warnte: «Unsere Geduld und die der internationalen Gemeinschaft endet langsam.»
Ob der Druck nützen wird, ist allerdings fraglich. Maduro hat andere Verbündete. Zu den Gratulanten zu seiner Wahl zählten unter anderem Russland, China, Bolivien, Honduras und Kuba, die heute schon bei anderen Geschäften und militärischen Spezialoperationen zu Hilfe eilen.