Der linke venezolanische Staatspräsident Nicolás Maduro (61) lässt die Muskeln spielen. Nach einer nicht bindenden Volksabstimmung hat er am Dienstag den Anspruch seines Landes auf einen grossen Teil des östlichen Nachbarstaates Guyana unterstrichen.
Der Putin-Freund will aus der Region, die viermal so gross ist wie die Schweiz, den venezolanischen Bundesstaat Esequiba schaffen und die Lizenzen für das reichhaltige Ölvorkommen nach venezolanischem Recht vergeben. Schon zeigte er eine neue Landkarte für Schulen, auf der der umstrittene Teil des Nachbarlandes als 24. venezolanischer Bundesstaat eingezeichnet ist.
Mini-Armee in Bereitschaft
Im bedrohten Nachbarland Guyana steigt die Anspannung. Wird Diktator Maduro mit einer Invasion ernst machen oder nicht?
Die guyanischen Streitkräfte stehen in Bereitschaft. Sie sind Venezuela massiv unterlegen. Venezuela verfügt über 123’000 aktive Soldaten und 515 gepanzerte Fahrzeuge, Guyanas Mini-Armee zählt nur gerade freiwillige 3400 Soldaten und sechs gepanzerte Fahrzeuge. Venezuela hat zudem 44 Kampfjets, darunter 24 in Russland gebaute Su-30-Kampfjets, von denen aber wegen der Misswirtschaft und schlechten Wartung nur die Hälfte als flugtauglich angesehen werden.
Militärexperte Igor Gielow von der brasilianischen Zeitung Folha de S. Paulo bezeichnet eine mögliche Invasion als kompliziert. «Ein grosser Teil der 800 Kilometer langen Grenze besteht aus dichtem Dschungel, der für kleine Einheiten undurchdringlich ist.» Es sei unmöglich, im sumpfigen und tropischen Gelände gepanzerte Fahrzeuge einzusetzen.
Auch einen Einmarsch via Brasilien schliesst Gielow aus. Denn Brasilien steht hinter Guyana und hat selber auch schon Truppen zusammengezogen. Die logischste Möglichkeit sei daher eine Kombination aus einem Luftangriff auf die wenigen städtischen Zentren Esequibas, verbunden mit einer amphibischen Landung in der Karibik.
Nur ein Erpressungsversuch?
Mit einem Krieg könnte der in Venezuela verhasste Maduro von eigenen Problemen ablenken. Weil er bei den Wahlen 2024 mit einer Klatsche rechnen muss, könnte es ihm ein Kriegszustand ermöglichen, die Wahlen zu verschieben oder sogar ganz abzusagen.
Maduros Drohgebärden könnten aber auch schlicht nur ein Versuch sein, um die von der Firma Exxon angeführte Koalition internationaler Ölgesellschaften zu Zahlungen, Dienstleistungen und anderen Vorteilen für Venezuela zu bewegen. R. Evan Ellis, Lateinamerika-Forscher am U.S. Army War College, sagt auf theglobalamericans.org: «Wahrscheinlich handelt es sich nur um politisches Getue, Spielereien und Erpressungsversuche.»
Maduro ist unberechenbar
Ellis warnt: «Wie bei der russischen Invasion in die Ukraine sollten die USA und die Welt eine unlogische, kontraproduktive Aggression nicht als Unmöglichkeit abtun.» So sei eine Abschreckung gegen eine unwahrscheinlich erscheinende Bedrohung zwar unbequem, aber immer noch billiger als eine Reaktion auf eine bereits initiierte Aggression.
Bei einer Invasion dürfte Guyana auf Hilfe von Grossmächten zählen. Die USA unterstützen Guyana schon bei der Ausbildung der Armee. Der britische König Charles III. (75) bekräftigte vor kurzem seine Verpflichtung, die ehemalige Kolonie zu unterstützen. Inwiefern die beiden Staaten militärisch eingreifen würden, ist nicht bekannt.
Guyanas früherer Präsident und heutiger Vizepräsident Bharrat Jagdeo (59) bezeichnet Maduro als unberechenbar. Und er betont: «Wir müssen auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.»