Der Sonntag wird ein schicksalhafter Tag für Guyana. Dann werden die Bürgerinnen und Bürger Venezuelas darüber entscheiden, ob ihr Land zwei Drittel Guyanas annektieren soll. Nun bereitet sich die Region auf einen Krieg vor. Blick liefert dir die wichtigsten Details zum potenziellen neuen Konfliktherd.
Was plant Venezuela?
Der venezolanische Staatschef Nicolás Maduro (61) möchte eine Fläche, die viermal so gross ist wie die Schweiz, annektieren. Auf diesem Territorium soll dann ein 24. venezolanischer Bundesstaat namens Guyana Esequiba entstehen. Ein Grossteil der Venezolaner wird sich wohl für eine Annexion aussprechen, vermutet das deutsche «Handelsblatt».
Wie reagiert Guyana?
Die Volksabstimmung beinhaltet aus guyanischer Sicht nichts Geringeres als die Annexion von zwei Dritteln des Staatsgebiets durch den Nachbarn. Deshalb ist Guyana auch bis vor den Internationalen Gerichtshof gezogen. Dort fordert das Land, dass Massnahmen ergriffen werden, um die Volksabstimmung in Venezuela aufzuhalten. Vertreter Guyanas sprechen von einer «existenziellen Bedrohung».
Woher rührt dieser Konflikt?
Das Gebiet Essequibo im Westen Guyanas, das annektiert werden soll, ist bereits seit der Kolonialzeit umstritten. Guyana hat damals zuerst zu Spanien, dann zu den Niederlanden und schliesslich zu Grossbritannien gehört. Schon zu dieser Zeit beanspruchte Venezuela das Gebiet rund um den Fluss Essequibo für sich – allerdings erfolglos. Als Guyana 1966 seine Unabhängigkeit von Grossbritannien erreichte, erhob Venezuela abermals Anspruch auf Essequibo.
Warum passiert das genau jetzt?
Dass die Essequibo-Frage jetzt wieder im Fokus steht, hat mehrere Gründe. Der Hauptgrund: Ölvorkommen, die 2015 entdeckt wurden. Heute produziert Guyana Erdöl, was dem Land noch nie da gewesene Einnahmen einbringt. Wenn Venezuela das Gebiet also annektiert, wäre das eine wichtige neue Einnahmequelle für das Land – wenn auch eine völkerrechtswidrige.
Zwar hat Venezuela selbst die grössten Ölreserven der Welt. Doch durch staatliches Missmanagement, Korruption und fehlende Investitionen produziert das einst wichtigste Ölförderland des Westens nur noch rund eine Million Fass am Tag.
Zudem deutet der Zeitpunkt des Referendums stark darauf hin, dass Venezuelas Präsident Maduro aus innenpolitischen Gründen handelt. Er appelliert an den Nationalstolz, weil er auf einen dringend notwendigen Popularitätsschub hofft. Er hofft, im Zuge der Abstimmung Sympathien zu gewinnen in der ausgelaugten und verarmten Bevölkerung.
Welche anderen Staaten sind involviert?
In Südamerika wird der Konflikt mit Besorgnis gesehen. In der brasilianischen Hauptstadt Brasilia scheiterte vor zwei Wochen ein Versuch, mit Beteiligung mehrerer Staaten der Region, Venezuela und Guyana an den Verhandlungstisch zu bekommen.
Allerdings scheint Maduro mit seiner aggressiven Aussenpolitik vor allem die USA herausfordern zu wollen. Und das können sich die Amerikaner aktuell kaum leisten: ein Konflikt direkt vor der Haustür, wo man sich bereits um die Ukraine, den Nahen Osten und die innenpolitischen Probleme kümmern muss. Im Juli sollen bereits US-amerikanische Marineeinheiten in der guyanischen Hauptstadt Georgetown Manöver abgehalten haben, so das «Handelsblatt».
Doch auch andere Länder sind an der Region interessiert: Das Regime in Venezuela ist schon länger militärisch und wirtschaftlich eng mit dem Iran und Russland verbunden. Auch China verfolgt dort strategische Interessen und ist der mit Abstand grösste Gläubiger Venezuelas.
Kommt es jetzt zum Krieg in Lateinamerika?
Das ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar. Venezuelas Militär erklärte bereits, dass es dem «Auftrag des Volkes für die Rückeroberung ihres Staates» folgen würde, sofern das Referendum am Sonntag angenommen wird.
Einigen Berichten zufolge sind die brasilianischen Streitkräfte in erhöhte Bereitschaft versetzt worden, weil im Osten Venezuelas, an der Grenze zu Guyana, eine erhebliche Bewegung von militärischem Gerät und Personal stattgefunden hat.
Auch ob sich die internationalen Unterstützer der beiden Länder einmischen würden, ist aktuell noch offen.