Prag abgesagt, Tallinn abgesagt, Vaduz abgesagt: Wo die russische Sopranistin Anna Jurjewna Netrebko (51) auftreten will, fallen laufend Konzerte ins Wasser. Die Veranstaltungen vom 16. Oktober in der tschechischen Hauptstadt und am 14. November in der estnischen Hauptstadt wurden beide unter «politischem Druck» abgeblasen.
Auch in Liechtenstein wurde es am Samstag – angeblich aus anderem Grund – nichts mit dem Verdi-Auftritt der in Österreich lebenden Russin und ihrem Ehemann, dem aserbaidschanischen Tenor Yusif Eyvazow (46). Philipp Elkuch (54), Stiftungsratspräsident von «Vaduz Classic», sagt gegenüber Blick: «Ihr Agent hat uns am Mittwochabend mitgeteilt, dass beide Künstler krank seien. Er hat uns ein ärztliches Zeugnis zugesichert, das wir aus versicherungstechnischen Gründen brauchen.»
Die Sängerin klagt
Immer mehr Veranstalter wenden sich von Netrebko ab. So hat auch die Metropolitan Opera in New York nach 20 Jahren die Bande mit der weltberühmten Künstlerin aufgelöst. Netrebko hat dagegen Klage eingereicht und fordert 360’000 Dollar Schadenersatz.
Der Sängerin wird vorgeworfen, dass sie sich zu wenig vom russischen Angriffskrieg auf die Ukraine distanziere. Für besondere Kritik sorgen Bilder aus früheren Jahren, auf denen die Sängerin ein Shirt mit der Propaganda-Aufschrift «Auf nach Berlin» trägt sowie die Fahne von «Neurussland» hält.
Konzert in Luzern findet statt
In der Schweiz hat das Opernhaus Zürich im vergangenen Jahr Netrebko ausgeladen. Im Luzerner KKL hingegen soll sie am 1. Juni 2024 mit ihrem Ehemann auftreten dürfen. Der lokale Veranstalter, die Good News Productions AG in Opfikon ZH, bestätigt Blick: «Das Konzert in Luzern findet, Stand heute, statt.»
Auf der KKL-Homepage erklärt der Veranstalter: «Anna Netrebko hat sich wiederholt gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen.» Man sei der Auffassung, dass Musik verbinde und Brücken schlage und freue sich auf das Konzert vom 1. Juni 2024.
Für den seit 1945 bestehenden Ukrainischen Verein in der Schweiz ist das ein Skandal. Vereinssprecher Sasha Volkov (48) sagt gegenüber Blick: «Wenn dieser Auftritt wirklich stattfindet, werden wir vor dem KKL demonstrieren.» Schon 2015 protestierten die Mitglieder vor dem Zürcher Opernhaus, als die Sängerin in der Donizetti-Oper «Anna Bolena» auftrat.
Volkov sagt: «Wir wissen nicht, wohin ihr Lohn für ihre Auftritte fliesst.» Und: «Man kann aber davon ausgehen, dass ein Teil davon als Steuern nach Russland geht und so den Krieg gegen die Ukraine mitfinanziert.»
Melnyk fordert Annullierung
Andrij Melnyk (47), ehemals ukrainischer Botschafter in Deutschland sowie Vize-Aussenminister in Kiew und seit Sommer Botschafter in Brasilien, ärgert sich. «Es ist ein Riesenskandal, dass die Konzerte von Anna Netrebko in Luzern immer noch nicht abgesagt wurden.» Die Opern-Diva bleibe ein Aushängeschild «des kulturellen Imperialismus Russlands».
Er rufe im Namen der Ukrainer die Veranstalter auf, alle Konzerte mit Netrebko zu stornieren. Melnyk: «Ihre Auftritte darf man – auch in der neutralen Schweiz – nicht tolerieren, solange Moskau diesen Vernichtungskrieg gegen die Ukraine führt. Dieser Krieg ist auch ein Krieg gegen die ukrainische Kultur.»
Manager rechtfertigt sich
Nach Erscheinen dieses Artikels meldete sich Netrebkos Generalmanager, Miguel Esteban, bei Blick. Er hält fest, dass sich Veranstalter nicht von der Sängerin abwenden würden. Vielmehr hätten fast alle, die nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine «einvernehmlich Aufführungen ausgesetzt» hätten, die Beziehungen wieder aufgenommen.
Das Konzert in Tallinn sei bereits im Februar wegen eines Vertragsstreits mit dem Hauptproduzenten abgesagt worden. Die Entscheidung, sich von den Aufführungen des Opernhaus Zürich zurückzuziehen, sei einvernehmlich gewesen. Das Opernhaus habe Netrebko auf die Spielzeit 2025/26 wieder eingeladen.
Esteban schreibt weiter: «Anna Netrebko hat klargestellt, dass sie weder Mitglied einer politischen Partei noch mit dem russischen Staatschef verbündet und dass sie in Österreich steuerlich ansässig ist.» Sie habe sich auch vom Krieg in der Ukraine klar distanziert und die Gewalt verurteilt. Ein Interview mit Netrebko, in dem sie sich direkt äussern könnte, lehnt Esteban ab, weil dies wieder zu neuen Diskussionen führen könnte.