Tausende ukrainische Kinder sollen von russischen Soldaten entführt worden sein. Der mutmassliche Auftraggeber: Kreml-Chef Wladimir Putin (70). Die mutmassliche Ausführerin: Maria Lwowa-Belowa (39) ist Russlands Beauftragte für Kinderrechte.
Am vergangenen Freitag schaltete sich deshalb der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag ein und erliess einen Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten. Auch gegen Russlands «Kommissarin für Kinderrechte», so der offizielle Titel von Lwowa-Belowa, wurde ein Haftbefehl ausgesprochen.
Der Grund für den Fokus auf die Kinder: Die Verschleppung von Zivilpersonen ist gemäss internationalem Recht verboten, zudem konnten die Ermittler in Den Haag in diesem Bereich wohl einige Beweise für die persönliche Verantwortung von Putin sichern.
Operativ verantwortlich für das Verbrechen soll jedoch Maria Lwowa-Belowa sein. Sie kümmert sich in Russland in Friedenszeiten um benachteiligte und behinderte Kinder sowie um Waisenkinder. Seit Kriegsbeginn ist sie auch dafür zuständig, Kinder aus der Ukraine nach Russland zu «vermitteln».
Russland bestreitet diesen Sachverhalt auch gar nicht – im Gegenteil. In einem vom TV übertragenen, inszenierten Treffen mit Wladimir Putin im Februar dieses Jahres fragte Putin Lwowa-Belowa, ob es denn stimme, dass sie selbst ein Kind aus Mariupol adoptiert habe, antwortete diese mit einem «Ja» und sagte, sie wisse nun, was es heisst, Mutter eines Kindes aus dem Donbass zu sein.
Haftbefehl scheint ihr egal zu sein
Die Ukrainer sowie westliche Beobachter sehen diese «Vermittlungen» aber eher als Entführungen an. Bereits seit längerem kursieren immer wieder Berichte darüber. Die ukrainische Regierung spricht gar von 16'000 Kindern, die auf diese Art und Weise verschwunden sein sollen. Einmal in Russland angekommen, seien sie anschliessend einer pro-russischen Umerziehung unterzogen worden.
Lwowa-Belowa ist der Haftbefehl egal. Sie macht sich sogar über ihn lustig: «Es ist grossartig, dass die internationale Gemeinschaft die Arbeit würdigt, die wir leisten, um den Kindern unseres Landes zu helfen. Dass wir sie nicht in Kriegsgebieten zurücklassen, dass wir sie herausholen, dass wir gute Bedingungen für sie schaffen, dass wir sie mit liebevollen, fürsorglichen Menschen umgeben», lautete Lwowa-Belowas Antwort laut dem «Spiegel». Gegen sie lägen Sanktionen in allen Ländern vor, nun komme halt noch ein Haftbefehl dazu, so die 38-Jährige. «Wir arbeiten weiter», lautet ihre Devise.
«Wollen Sie weiterhin einem Kriegsverbrecher dienen?»
Trotzdem könnte der Haftbefehl aus dem Westen etwas bewirken. Vor allem Staatsbeamte und Politiker, die den Krieg lediglich aus opportunistischen Gründen mittragen, dürften aufgeschreckt sein. Keiner von ihnen will schliesslich neben Putin auf der Anklagebank in Den Haag sitzen.
Das sieht auch der Oppositionspolitiker und frühere Dumaabgeordnete Dmitri Gudkow (43) so. Als einen «Weckruf für Putins Elite, Gouverneure, Senatoren und Minister» bezeichnete Gudkow, der mittlerweile im Exil lebt, die Haftbefehle in einem Facebook-Post. «Wollen Sie weiterhin einem Kriegsverbrecher dienen? Dann sind sie der Nächste, der gesucht wird.» (ced)