Das Leiden der Minderheit – das Schweigen der Schweiz – die Drohung der Botschaft in Bern
Kollektivstrafe für alle Uiguren

Die Chinesen betrachten die Uiguren als Terroristen. Inwieweit stimmt dieser Vorwurf? Und warum ergreift die Schweiz keine Sanktionen? Simona A. Grano (44), China-Expertin an der Uni Zürich, erklärt den Konflikt.
Publiziert: 13.12.2022 um 18:26 Uhr
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An Händen und Füssen gefesselt, mit Schlagstock bedroht: Die Xinjiang Police Files ist das grösste Leak, das über das Vorgehen in den «Bildungsanstalten» berichtet.
Foto: Xinjiang Police Files
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Guido FelderAusland-Redaktor

Umerziehung, Folter, Zwangssterilisierung: Die Uiguren leiden unter der chinesischen Herrschaft. Rund eine Million Angehörige der muslimischen Minderheit wurden in sogenannte Bildungsanstalten gesteckt, aus denen viele nicht mehr herauskommen. Zeugen, Leaks und auch ein vor zwei Monaten veröffentlichter Uno-Bericht bestätigen dieses harte Vorgehen, das nach einem Wohnungsbrand mit wohl über 40 uigurischen Todesopfern wieder in den Fokus der Weltöffentlichkeit rückt.

Woher kommt der Hass der Chinesen auf die Uiguren? Nach der Einverleibung des Gebietes von Ostturkestan 1949 wuchs der Widerstand der Uiguren gegen die chinesische Regierung. Simona A. Grano (44), China-Expertin an der Uni Zürich: «Es gab in der Vergangenheit in Xinjiang Extremisten und auch terroristische Anschläge gegen Han-Bürger.»

Die Regierung in Peking gebe dem East Turkestan Islamic Movement, einer von militanten Uiguren gegründeten Separatistengruppe, die Schuld für die Anschläge. Nach 9/11 habe die chinesische Regierung begonnen, ihr Vorgehen gegen die Uiguren als Teil des globalen Kriegs gegen den Terrorismus zu rechtfertigen. Grano: «Sie sagte, sie würde die ‹drei Übel› Separatismus, religiösen Extremismus und internationalen Terrorismus um jeden Preis bekämpfen.»

Darüber hinaus habe die Kommunistische Partei unter Präsident Xi Jinping (69) darauf gedrängt, die Religion zu «sinisieren», das heisst, alle Religionen so zu formen, dass sie den offiziell atheistischen Doktrinen der Partei und den Normen der mehrheitlich han-chinesischen Gesellschaft entsprächen, sagt Simona Grano.

«Testgelände» für totale Kontrolle

Es gebe aber auch einen anderen Grund für das harte Durchgreifen. «Xinjiang ist ein wichtiges Glied in Chinas Belt and Road Initiative», sagt Grano. Der gigantische Entwicklungsplan sieht eine Handelsroute von Asien nach Europa vor. «Peking hofft, jede Möglichkeit von separatistischen Aktivitäten auszulöschen, um die Entwicklung von Xinjiang fortzusetzen, wo die grössten Kohle- und Erdgasreserven Chinas lagern.»

Grano bezeichnet Xinjiang als eine Art «Testgelände», auf dem die Kommunistische Partei Überwachungs- und Kontrollmassnahmen ausprobiert, bevor sie im grossen Stil auch in andern Teilen des Landes umgesetzt würden.

Botschaft hält Uno-Bericht für Fake News

Die chinesische Regierung wehrt sich gegen die weltweite Kritik. Die chinesische Botschaft in Bern bezeichnet das Vorgehen Pekings gegen die Uiguren als «gesetzeskonform». Auf Anfrage von Blick schreibt sie: «In Bezug auf Xinjiang geht es nicht um Religion, ethnische Zugehörigkeit oder Menschenrechte, sondern um die Bekämpfung von gewalttätigem Terrorismus, Separatismus und Deradikalisierung. Zwischen den 1990er-Jahren und 2016 gab es in Xinjiang Tausende gewalttätig terroristische Angriffe, die Tausende unschuldiger Menschen töteten.»

So unterdrückt Peking die Uiguren

Die Uiguren sind nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit rund zehn Millionen Angehörigen die zweitgrösste muslimische Bevölkerungsgruppe in China. Sie sind ein Turkvolk und ethnisch mit den Türken verwandt.

Rund 90 Prozent aller Uiguren weltweit leben in der chinesischen Provinz Xinjiang, die formal Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang heisst. Die Uiguren selbst bezeichnen ihr angestammtes Gebiet als Ostturkestan. 1949 annektierten Chinas Kommunisten mit sowjetischer Einwilligung das kurzzeitig unabhängige Ostturkestan.

Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor und bestraft sie mit Masseninternierungen, Zwangsarbeit, Zwangssterilisationen und kultureller Vernichtung. Das Vorgehen gegen die Volksgruppe hat sich unter Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping (69) noch verschärft.

Laut Recherchen haben Chinas Behörden mehr als eine Million Uiguren und andere meist muslimische Minderheiten in Gefangenenlagern interniert. Peking behauptet, es handle sich dabei um berufliche Fortbildungsstätten, deren Besuch freiwillig erfolge. Ehemalige Häftlinge berichten jedoch von Vergewaltigungen, Folter und politischer Indoktrinierung.

Die USA bezichtigen China des Völkermords an den Uiguren und haben Sanktionen verhängt. Peking weist die Vorwürfe von sich und nennt sie die «Lüge des Jahrhunderts».

Die Uno hat der chinesischen Regierung kürzlich in einem Bericht schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Deswegen hat im September das Schweizer Aussendepartement den chinesischen Botschafter einbestellt. «Die Schweiz ist überzeugt, dass sie ihre Interessen und die Achtung der Grundrechte am besten durch einen kritischen und konstruktiven Dialog mit Peking wahren kann», betonte das Departement von Bundespräsident Ignazio Cassis (61).

Die Uiguren sind nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) mit rund zehn Millionen Angehörigen die zweitgrösste muslimische Bevölkerungsgruppe in China. Sie sind ein Turkvolk und ethnisch mit den Türken verwandt.

Rund 90 Prozent aller Uiguren weltweit leben in der chinesischen Provinz Xinjiang, die formal Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang heisst. Die Uiguren selbst bezeichnen ihr angestammtes Gebiet als Ostturkestan. 1949 annektierten Chinas Kommunisten mit sowjetischer Einwilligung das kurzzeitig unabhängige Ostturkestan.

Die Regierung in Peking wirft uigurischen Gruppen Separatismus und Terrorismus vor und bestraft sie mit Masseninternierungen, Zwangsarbeit, Zwangssterilisationen und kultureller Vernichtung. Das Vorgehen gegen die Volksgruppe hat sich unter Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping (69) noch verschärft.

Laut Recherchen haben Chinas Behörden mehr als eine Million Uiguren und andere meist muslimische Minderheiten in Gefangenenlagern interniert. Peking behauptet, es handle sich dabei um berufliche Fortbildungsstätten, deren Besuch freiwillig erfolge. Ehemalige Häftlinge berichten jedoch von Vergewaltigungen, Folter und politischer Indoktrinierung.

Die USA bezichtigen China des Völkermords an den Uiguren und haben Sanktionen verhängt. Peking weist die Vorwürfe von sich und nennt sie die «Lüge des Jahrhunderts».

Die Uno hat der chinesischen Regierung kürzlich in einem Bericht schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Deswegen hat im September das Schweizer Aussendepartement den chinesischen Botschafter einbestellt. «Die Schweiz ist überzeugt, dass sie ihre Interessen und die Achtung der Grundrechte am besten durch einen kritischen und konstruktiven Dialog mit Peking wahren kann», betonte das Departement von Bundespräsident Ignazio Cassis (61).

Die Botschaft bezeichnet den Uno-Bericht als einen Bericht, der «rein von den Vereinigten Staaten und einigen westlichen Kräften inszeniert und erstellt wurde». Er sei deshalb illegal und ungültig. «Inhaltlich ist es ein Sammelsurium von Fake News, ein politisches Instrumentarium, das der US-amerikanischen sowie im Allgemeinen der westlichen Strategie dient, die Xinjiang-Frage zur Eindämmung Chinas zu nutzen.»

«Zentren wie in andern Ländern auch»

Es habe in Xinjiang nie sogenannte Umerziehungslager oder Internierungslager gegeben, schreibt die Botschaft weiter. Es handle sich um Berufsausbildungszentren, die sich vom Konzept der Deradikalisierungsprogramme in Ländern wie den USA, Grossbritannien oder Frankreich nicht unterschieden.

Die Botschaft schreibt über das Konzept: «Indem es Unterricht von Amts- und Schriftsprache, Kennenlernen von Recht und Gesetz, Vermittlung von beruflichen Fähigkeiten sowie Deradikalisierungsinhalt durchführt, haben Teilnehmende ihre Lernqualität im Allgemeinen verbessert, ihr Rechtsbewusstsein deutlich verstärkt.» Bis 2019 hätten alle Auszubildenden «ihr Studium» abgeschlossen, und die meisten von ihnen hätten «eine stabile Beschäftigung gefunden».

Schweiz ohne Sanktionen

Eine Lösung des Uiguren-Konflikts scheint nicht in greifbarer Nähe zu sein. «Es ist sehr schwierig, Lösungen zu finden, wenn die chinesische Regierung nicht bereit ist zu kooperieren und das harte Durchgreifen zu mildern», sagt Simona A. Grano. Das einzige Mittel bestehe darin, wenn Drittländer weiterhin Druck auf China ausübten.

Viele Staaten haben chinesische Beamte und Organisationen, die mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung gebracht würde, mit Sanktionen belegt. Dazu gehört auch die EU, nicht aber die Schweiz.

Das für Sanktionen zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hält auf Anfrage von Blick fest, dass sich die EU-Sanktionen nicht geografisch gegen das Land, sondern thematisch weltweit gegen Personen oder Organisationen richteten. Sie gingen damit «sehr viel weiter» als die geografischen Sanktionsregimes der EU, denen sich die Schweiz in den meisten Fällen angeschlossen habe. Das Seco schreibt: «Der Bundesrat hat sich zwischenzeitlich mit der Thematik befasst und hat entschieden, seine diesbezügliche Analyse zu vertiefen, bevor er eine Entscheidung trifft.»

Simona A. Grano führt dieses Zaudern aber zurück auf «unsere einzigartige Position, in der wir aufgrund unseres Freihandelsabkommens aus dem Jahr 2014 der finanziellen Erpressung durch China ausgesetzt sind». Würde China dieses aussetzen, würde die Schweiz jedes Jahr Hunderte von Millionen Franken an Zöllen verlieren.

Das weiss der chinesische Botschafter Wang Shihting (55) in Bern. So hat er in einem Interview mit der «NZZ am Sonntag» vor kurzem gedroht: «Sollte die Schweiz die Sanktionen übernehmen und sich die Situation in eine unkontrollierte Richtung entwickeln, werden die chinesisch-schweizerischen Beziehungen darunter leiden.»

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