Masseninternierungen, Zwangsarbeit, Zwangssterilisationen und kulturelle Vernichtung: Mit diesen Mitteln geht China laut Menschenrechtsaktivisten in Xinjiang gegen muslimische Minderheiten vor. Jetzt gibt es neue Beweise für die massenhafte Internierung von Uiguren in China.
Fotos, Reden und Behördenweisungen belegen, dass es sich bei den Lagern nicht, wie von der chinesischen Regierung behauptet, um «berufliche Fortbildungseinrichtungen» handele, erklärten die an der Recherche beteiligten Medien Bayerischer Rundfunk und «Spiegel» am Dienstag.
So finde sich in dem Datensatz eine bislang unbekannte Rede des ehemaligen Parteichefs der Region Xinjiang aus dem Jahr 2017, in der es heisst, jeder Gefangene, der auch nur versuche, ein paar Schritte weit zu entkommen, sei «zu erschiessen». Auf Bildern seien Sicherheitskräfte mit Sturmgewehren zu sehen. Ein Foto zeige zudem einen Häftling in einem sogenannten Tigerstuhl – einer Foltervorrichtung, bei der die Beine überdehnt werden.
Neue Sanktionen gegen China gefordert
Die chinesische Botschaft in den USA erklärte demnach, die Massnahmen in Xinjiang richteten sich gegen terroristische Bestrebungen, es gehe nicht um «Menschenrechte oder eine Religion».
Der Datensatz wurde der Mitteilung zufolge dem deutschen Anthropologen Adrian Zenz (48) zugespielt. Dieser ist in den USA ein bekannter China-Forscher, der schon früh auf die mutmasslichen Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang hinwies und 2021 von Peking mit Sanktionen belegt wurde. Er teilte die Daten mit insgesamt 14 westlichen Medien.
Der Vorsitzende der Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu China, Reinhard Bütikofer (69), forderte BR und «Spiegel» gegenüber neue Sanktionen gegen China. Die «Bilder des Grauens» müssten dazu führen, dass die Europäische Union klar Stellung beziehe.
Terror-Bekämpfung und Wirtschaft in der armen Region ankurbeln
In diesen Tagen besucht die Uno-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet (70) die Region im Nordwesten Chinas. Begleitet wird die Chilenin von Forderungen, endlich einen lange zurückgehaltenen Bericht über die Situation der Uiguren zu veröffentlichen.
Die kommunistische Führung in Peking hat seit Jahren religiöse und kulturelle Praktiken sowie die Sprache der Uiguren im Visier. Die Regierung rechtfertigt das harte Vorgehen damit, Terrorismus ausmerzen und die Wirtschaft der armen Region ankurbeln zu wollen.
Die USA bezichtigen China des Völkermords an den Uiguren und haben Sanktionen verhängt. Peking weist die Vorwürfe von sich und nennt sie die «Lüge des Jahrhunderts». Die Uiguren stellen mit rund zwölf Millionen Menschen etwa die Hälfte der Einwohner Xinjiangs.
Zwangsarbeit für Export-Artikel
Recherchen zufolge haben Chinas Behörden mehr als eine Million Uiguren und andere meist muslimische Minderheiten in Gefangenenlagern interniert. Peking behauptet, es handle sich dabei um berufliche Fortbildungsstätten, deren Besuch freiwillig erfolge.
Ehemalige Häftlinge berichten jedoch von Vergewaltigungen, Folter und politischer Indoktrinierung. Wachleute kontrollieren die Lager mithilfe von Tränengas, Elektroschockpistolen und mit Nägeln versehenen Knüppeln, wie aus Regierungsdokumenten hervorgeht, die die Nachrichtenagentur AFP im Jahr 2018 einsehen konnte. Demnach werden zudem Stacheldraht und Infrarotkameras eingesetzt.
Eine Reihe von durchgesickerten Regierungsdaten gewährten in den vergangenen Jahren Einsichten in Pekings Internierungsstrategie. So führt etwa ein von David Tobin von der Universität Sheffield erlangtes Handbuch für Regierungsmitarbeiter in der Region aus dem Jahr 2016 detailliert Verhörmethoden auf.
China wird zudem vorgeworfen, mit seinen «Arbeitstransfer»-Programmen Uiguren für die Herstellung von Exportartikeln, insbesondere Textilien, auszunutzen. Peking behauptet, die Initiativen würden mit gut bezahlten Jobs für die ländliche Bevölkerung helfen, die Armut zu bekämpfen.
Geburtenkontrolle per Sterilisierungen
Recherchen deuten jedoch darauf hin, dass die Behörden im Zusammenhang mit den Internierungslagern mehrere 10'000 Menschen systematisch zur Arbeit auf Feldern und in Fabriken genötigt haben. Laut einem Bericht des Australischen Instituts für Strategische Studien (ASPI) aus dem Jahr 2020 ist Zwangsarbeit bereits in Schlüsselindustrien wie Autobau, Smartphone- und Solarzellenproduktion angekommen. Darunter seien auch bekannte Weltmarken.
Zu Pekings Strategie in Xinjiang gehören nach Angaben von Wissenschaftlern und Menschenrechtsanwälten auch harte Zwangsmassnahmen zur Geburtenkontrolle. Demnach wird seit 2017 mit Sterilisierungen und dem Einsetzen von Spiralen versucht, die Geburtenrate ethnischer Minderheiten drastisch zu reduzieren.
China hingegen führt den Rückgang der Geburten auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Veränderung sozialer Werte in der Region zurück. (AFP/jmh)